Schokolade, Dauerregen und schlechte Radwege
Von Amsterdam nach Flensburg: 600 km mit dem Lastenrad für eine gute Idee. Ein Erfahrungsbericht von der Schokofahrt 2024 von Joachim Pohl.
Seit 2019 erhält das Café des Flensburger Schifffahrtsmuseums emissionsfrei produzierte und per Rad transportierte Schokolade aus Amsterdam. In den vergangenen Jahren haben wechselnde Fahrer*innen als Staffel oder über die gesamte Strecke hin und zurück die Schokolade nach Flensburg gebracht. Doch in diesem Jahr zeichnete sich früh die zweite Schokofahrt ohne Flensburger Beteiligung ab - bis Beate Falkenberg. Betreiberin von Shop und Café im Museum, sich kurzerhand entschloss, selbst einen Teil der Strecke zu fahren. Sie teilte sich die Strecke mit ADFC SH-Vorstandsmitglied Timo Höfker, der das Cargo-Pedelec nach Amsterdam kutschierte. Beate Falkenberg fuhr es beladen zurück. Der Autor Joachim Pohl, seit vielen Jahren ADFC-Mitglied, hat sie begleitet.
Als die beiden erschöpft im Nieselregen vor dem Schifffahrtsmuseum von einem jubelnden Empfangskomitee begrüßt werden, sind die Strapazen der vergangenen Tage erst einmal vergessen. In der Ladekiste des über zwei Meter langen und 40 Kilo schweren Lastenfahrrads namens „Fiete Flitz“ sind rund 35 Kilo Schokolade, die Beate Falkenberg in sechs Tagen von Amsterdam ins heimische Flensburg transportiert hat - davon zweieinhalb Tage im Dauerregen, über holprige Radwege in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, mit zwei Fähren über die Elbe und den Nord-Ostsee-Kanal, zum Glück aber überwiegend mit Rückenwind. Joachim Pohl transportierte mit seinem Trekking-Fahrrad das Gepäck von beiden - ohne Strom!
Aber warum tut man sich das an im wechselhaften April? Die anstrengende, aber auch euphorisierende Reise hat einen durchaus ernsten ökologischen Hintergrund. Die Schokofahrt existiert deutschlandweit seit 2017. Die Idee: Die Firma Chocolate Makers im Amsterdamer Westhafen verarbeitet zertifizierten Bio-Kakao, der zuvor mit der Brigantine „Tres Hombres“ von der Dominikanischen Republik über den Atlantik gesegelt und direkt am Kai bei der Schokofabrik angeliefert wird. Kleine Randbemerkung: Dasselbe Schiff hat bereits vier Fässer Rum für Beate Falkenbergs Firma „Muse Maritim“ über den Atlantik geschippert, das fünfte ist unterwegs.
Mit modernen Maschinen und insgesamt nur zwölf Mitarbeiter*innen produzieren die Chocolate Makers pro Jahr rund eine Million Tafeln Schokolade, wie Firmengründer Rodney Nikkels berichtet. Sie haben Verträge direkt mit den Kakao-Farmern und zahlen ihnen erheblich mehr als die großen Zwischenhändler, so Nikkels. Der Strom für die modernen Maschinen kommt ausschließlich von der Photovoltaik-Anlage, die das komplette Dach der Fabrik einnimmt. Rund zehn Prozent der Produktion geht nach Deutschland und wird nahezu komplett per Lastenrad in etliche Städte gefahren - eine davon ist Flensburg.
15. Schokofahrt 2024: Amsterdam-Zwolle 112 km, Zwolle-Meppen 102 km, Meppen-Bremen 131 km, Bremen-Stade 85 km, Stade-Elbfähre Wischhafen-Glückstadt-Breiholz (NOK) 95 km - Breiholz-Flensburg 75 km.
Schokofahrt: Beginn im Frühjahr 2017 mit Münster, es folgten 14 weitere Fahrten. Flensburg ist seit 2018 dabei. Über 40 Städte sind dabei mit mehreren hundert Fahrern. Die Schokofahrt ist eine dezentral organisierte, private Fahrradtour für den emissionsfreien Transport von Schokolade. Damit soll für nachhaltige Mobilität, CO2-neutralen Transport und bewussten Genuss geworben werden.
Fjordbeweger: Die Fjordbeweger sind ein Projekt für freie Lastenräder. Die Idee: Lastenräder frei und kostenlos für alle Menschen zur Verfügung stellen. Aktuell gibt es zehn Lastenräder und einen Schwerlastanhänger, die online über die Fjordbeweger-Website gebucht und an verschiedenen Stationen in Flensburg und Harrislee abgeholt werden können.
Timo Höfker, der auch das Projekt „Fjordbeweger“ der freien Lastenräder in Flensburg mit auf den Weg gebracht hat, unterstützte die auf Langstrecken unerfahrene Beate Falkenberg in der Vorbereitung und stattete sie mit Ausrüstung aus. Auch meldete er die beiden Flensburger in der Gruppe der “Bremer Schokoradler” an, mit denen sie den Abschnitt von Amsterdam bis an die Weser fahren würden.
Und dann ging es los - am Karfreitag per Bahn nach Amsterdam. Tags darauf rollten fast im Minutentakt die Gruppen aus Dortmund und Münster, Duisburg und Heilbronn, Hannover, Bremen und anderen Städten auf den Hof der Chocolate Makers. Auch die zwei Radfahrer aus Flensburg waren dabei. Ein unübersichtliches, buntes Gewimmel von großen und kleinen Lastenrädern, mit und ohne Strom. Die Schokolade lag verpackt in Kartons auf Paletten. Das Team der Chocolate Makers bereitete allen einen überaus freundlichen Empfang. Nach vielen Gesprächen, einem Imbiss und einer Führung ging es ans Verladen und regensicheres Verstauen.
Nach einer Nacht in einer Hütte auf dem Campingplatz Vliegenbos ging es los - bei Nieselregen. Beate Falkenberg musste sich erst an das Manövrieren des voll bepackten Gefährts durch das Gewimmel der Großstadt gewöhnen. Vor allem am Anfang wahrte sie aus Sicherheitsgründen den Abstand zu den anderen Fahrern der insgesamt 16 Personen starken Gruppe. Doch mit jedem Kilometer wurde sie sicherer im Umgang mit dem „long vehicle“.
Und es gab keinen Welpenschutz. Gleich am ersten Tag mussten 112 Kilometer bis Zwolle absolviert werden, überwiegend bei Gegenwind. Immerhin hörte der Regen bald auf, und es gab sehr sehenswerte Streckenabschnitte am Veluwemeer, durch pittoreske ländliche Regionen und auf einsamen, aber schwer zu fahrenden Wegen.
Nachdem die niederländisch-deutsche Grenze überquert war, mussten alle Fahrer sofort die bittere Erfahrung machen, dass die Rad-Infrastruktur im westlichen Nachbarland der Deutschen um Längen voraus ist. Immer wieder warnten Schilder vor Radwegschäden, immer wieder wich die Lastenrad-Karawane auf die Straße aus. Dann fuhr sie gemäß StVO als Verband mit mindestens 16 Personen, immer zwei nebeneinander und acht hintereinander ohne große Abstände. Am dritten Tag führte die „Königsetappe“ über 131 Kilometer von Meppen nach Bremen.
Damit war klar: Die Schokofahrt ist keine Vergnügungstour. Zeit für Besichtigungen oder längere Pausen blieb nicht, eingekehrt wurde nie. Der Proviant wurde mitgebracht, übernachtet wurde in Hütten auf dem Campingplatz, in einer Jugendherberge, in einem großen Bed & Breakfast, später auch in kleinen Hotels.
Bei einem derart harten Ritt blieben Pannen nicht aus. Platte Reifen, abspringende Ketten, ein defektes Tretlager erforderten ungeplante Pausen. Das ausgesprochen heterogene Bremer Team sehr unterschiedlicher Fahrrad-Enthusiast*innen agierte immer hilfsbereit und effektiv, das gemeinsame Ziel schweißte alle zusammen. ADFC‘ler Frank Heinrich aus Stuhr bei Bremen navigierte die bis 16 Fahrer*innen starke Gruppe mit Ruhe und Ortskenntnis.
Auf dem vorletzten Abschnitt bekam das Flensburger Duo unerwartete Unterstützung aus Flensburg. Die Crew der Fähre Wischhafen-Glückstadt, die zur Gruppe der Fördereederei-Seetouristik gehört, begrüßte die beiden mit großem Hallo und spendierte die Überfahrt. Das Foto fand schnell seinen Weg auf die FRS-Homepage.
„Es war anstrengend und im Regen nicht wirklich schön, aber insgesamt eine tolle Erfahrung“ bilanzierte Beate Falkenberg. „Ich würde es jederzeit wieder machen. Es ist ein tolles Projekt mit einer wichtigen Botschaft. Der gesamte Weg von der Saat bis zur Schokolade im Laden ist transparent und fair, jeder Teil dieser Produktions- und Handelskette ist bekannt. Ein schönes Gefühl, Teil dieser Kette zu sein, da macht die Anstrengung Freude.“