“Vor der Haustür ist das Abenteuer nicht unbedingt kleiner!"
2022 ging er das erste Mal an den Start: Der sogenannte Hackenpedder, ein gemeinsames Bikepacking-Event in Schleswig-Holstein. Wir haben Nils Thomsen-Habermann, den Gründer des Hackenpedder, für ein Gespräch getroffen.
Moin Nils, schön, dass wir uns sehen. Wir sitzen heute zusammen, um über dein Bikepacking-Event, den Hackenpedder, zu sprechen. Dabei radeln 100 Teilnehmende 1000 Kilometer auf einer von dir entwickelten Route durch ganz Schleswig-Holstein und brauchen dafür drei bis sieben Tage. Wenn du ihn nur mit einer Anekdote beschreiben dürftest, wie würde sie klingen?
Vielleicht nicht DIE eine, aber viele kleine Geschichten, die den Hackenpedder ausmachen. Du erlebst ein echtes Abenteuer, denn so gut vorbereitet die Route auch ist, das Wetter ist unberechenbar und erfordert kreative Lösungsstrategien. Vielleicht hast du auch Glück und wirst während eines Gewitters von einer alten Dame zum Brotessen eingeladen. Der unerwünschte Platten führt dich in die schönste Ecke Schleswig-Holsteins. Du lernst neue Leute kennen, mit denen du dann den ganzen Hackenpedder in der Gruppe fährst. Manche fahren die Nacht durch. Oder du kaufst dir im März dein Bike, fährst im Juni mit minimalem Training vorher mit, wächst über dich selbst hinaus – und schaffst mit der “Shortcut-Strecke” 650 Kilometer in dreieinhalb Tagen. So hat es jedenfalls mein Bruder erlebt.
2023 ist der Hackenpedder das erste Mal an den Start gegangen und findet nächstes Jahr somit zum dritten Mal statt. Wenn du zurückblickst, wie hat er sich über die Jahre entwickelt – und hättest du damit gerechnet, dass er nach so kurzer Zeit schon so beliebt ist?
Der erste Hackenpedder war rückblickend wirklich kurzfristig angesetzt. Die Website kam im März, Start war im Juli. Da waren 50 angemeldet und 25 waren wir dann beim Start. Im Folgejahr war es dann schon ausgebucht. Eigentlich witzig, dass das einfach aus einem Hobby von mir entstanden ist. Aber das Interesse an Teilnehmer*innen und auch der Presse war und ist einfach so groß, dass da in so kurzer Zeit so viel entstanden ist. Das hat wohl irgendwie den Zeitgeist getroffen. In letzter Zeit hat sich das dann auch vermehrt über Youtuber und Podcasts einfach herumgesprochen. Letztes Mal waren nach zehn Tagen alle Tickets weg …
Jetzt bin ich total gespannt, was bei der dritten Runde passiert.
Diese Vorstellung, 1000 Kilometer Rad durch SH zu fahren, ist ja erstmal abstrakt. Aber wenn man dann deine Website sieht und die Postings bei Instagram, denkt man sich: Ja, da gibt es aber Leute, die machen das und es sieht nach mega viel Spaß aus!
[Lacht.] Ja, stimmt. Ich habe Kommunikationsdesign in Kiel studiert und habe für die Website und Instagram dann mit befreundeten Fotografen und Filmemachern erstmal gutes Material erstellt und das kam, glaube ich zumindest, gut an und macht Lust, dabei zu sein. Besonders beeindruckt hat mich selber, dass man denkt, man kennt alle Ecken in Schleswig-Holstein, aber entdeckt immer wieder neue Sachen – vor allem abseits von großen Städten.
Apropos Entwicklung: Der Hackenpedder ist (noch?) männerdominiert. Wie sieht es aus mit der Anzahl von teilnehmenden FLINTA*s? Du reservierst ja jedes Jahr ein gewisses Kontingent an Tickets. Was denkst du, wie kann der Radsport inklusiver werden? [Anmerk. der Redaktion: Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das Sternchen (Asterisk) am Ende soll zusätzlich weitere Variationen der Geschlechtervielfalt einbeziehen.]
Beim ersten Hackenpedder waren wir ja 25 Personen, davon waren drei Frauen. Als beim zweiten Mal fast alle Tickets ausgebucht waren, habe ich bemerkt, dass der Frauenanteil bei nur knapp 20 % lag. Das fand ich zu unausgewogen und habe dann nur noch FLINTA*-Personen zugelassen. Da haben sich dann nochmal 15 angemeldet, dass es am Ende circa 30 % waren. Aber vor allem beim letzten “Overnighter” ging die Rechnung auf. Da war es dann fifty-fifty. Das möchte ich für 2025 auch nochmal mehr in den Fokus rücken. Ich glaube, wenn man deutlich macht, dass es divers sein soll, dass das gewünscht ist, dann ist auch der Spaß für die „kleinere“ Gruppe höher. Übrigens: Alle drei Frauen vom ersten Hackenpedder sind ihn auch zu Ende gefahren, bei den Männern hat die Hälfte abgebrochen.
Wie stellst du dir die Zukunft des Events vor? Gibt es schon Pläne? Die "Einsteigervariante" ist ja bereits 650 Kilometer lang, sind auch kürzere Distanzen angedacht in der nächsten Zeit?
Ich mache das mit Leidenschaft und alles sehr gerne – aber es ist ja nur ein Hobby, weshalb ich mir nicht vorstellen kann, ihn beispielsweise zweimal im Jahr zu veranstalten. Ich werde auch an der Route grundlegend nichts ändern. Ich würde mir wünschen, dass der Hackenpedder eine Art Klassiker wird. Was ich mir aber vorstellen kann, ist, dass die Community selbstorganisierter wird. In dem Sinne, dass beispielsweise jemand aus der Community einen Termin vorschlägt und sich alle, die Lust haben, sich auch anmelden können.
Aber natürlich habe ich neue Ideen. Wahrscheinlich werde ich nächste Woche durch Dänemark radeln, mit Start in Flensburg, dann an der Ostseeküste hoch bis Silkeborg, dann rüber an die Westküste über Esbjerg, Blavand, etc. zurück. Das wäre dann sozusagen die „Shelter-Edition“. Wir haben ja in SH auch diese wilden Campingplätze, auf denen auch die Hackenpedder-Route basiert. In Dänemark sind diese „Shelter“ aber nochmal einladender und auf 600 Kilometern Radroute kommt man an 50 bis 60 Sheltern vorbei. Also ungefähr alle 30 Kilometer einer. Dafür erarbeite ich gerade ein Konzept. Im Prinzip gäbe es dann wohl einen Campingplatz, von dem alle aus starten, und einen, an dem alle ankommen. Dann können verschiedene Routenlängen gewählt und die Shelter im Vorhinein gebucht werden. Alle Teilnehmenden wissen dann auch: Auf diesem Campingplatz finde ich dann auch die anderen Bikepacker.
Wie bist du eigentlich selbst aufs Fahrrad und nach Schleswig-Holstein gekommen?
Das Fahrradfahren wurde vom Vater quasi erzwungen, vor allem sind wir oft in Skandinavien gefahren. Dort hat mich das Jedermannsrecht, also das Recht darauf, sich frei in der Natur zu bewegen und auch wild zu campen, direkt begeistert.
Dann habe ich erstmal zehn Jahre studiert und gearbeitet und habe mir vor ein paar Jahren ein neues Bike gekauft, mit dem ich viel gefahren bin. Und manchmal kostet eine Reise schon so viel, wie einfach ein Einsteigerrad zu kaufen und durch Schleswig-Holstein zu fahren. Wenn du vor deiner Haustür losfährst, dann ist das Abenteuer nicht kleiner als irgendwo sonst in der Welt.
Und 2020 habe ich davon gehört, dass die Stiftung Naturschutz diese Rastplätze ins Leben gerufen hat und wollte die entdecken. Daraus ist der Hackenpedder entstanden.
Worauf können sich die Teilnehmer*innen vom Hackenpedder 2025 freuen?
Für die, die sich anmelden werden, habe ich eine riesige Liste erstellt mit allen möglichen Fragen: Anfahrt, Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung, … sodass man eigentlich ein Rundum-Sorglos-Paket erhält. Wir werden außerdem wieder im Uhrzeigersinn fahren, also der Bungsberg als erstes Highlight und dann weiter Richtung Lübeck. Von den Checkpoints, also Übernachtungsplätzen, an denen sich Personen um Lagerfeuer, Essen etc. für die Teilnehmer*innen kümmern, wird es drei geben, also einer mehr. Es wird auf jeden Fall ein einsteigerfreundliches Modell, das trotzdem ein Abenteuer verspricht!
Ist der Shortcut nachgefragter?
Von der Anmeldung ist es gleich. Der Shortcut wird aber häufiger auch zu Ende gefahren, als die lange Route. Viele, die sich für den langen Teil angemeldet hatten, haben sich während der Fahrt umentschieden und sind am zweiten Checkpoint, kurz vor Kiel, auf den Shortcut gewechselt. Deshalb überlege ich für 2025, den zweiten Checkpoint nach 400 Kilometern einzurichten, damit die Entscheidung, ob lange Route oder Shortcut, später auf der Strecke getroffen werden muss.
Der Shortcut ist auch deshalb interessant, weil Teilnehmende beim ersten Mal den einen Teil und im Folgejahr beim zweiten Mal den anderen Teil von Schleswig-Holstein kennenlernen.
Und für alle, die nicht so lange warten können – wird es vor Juni noch Scoutings / Community Overnighter geben?
Das kann ich mir schon vorstellen, denn diese etwas kürzeren Ausfahrten kommen sehr gut an und stärken auch die Community hier im Norden. Denn die kürzere Route, der Shortcut, ist mit circa 650 Kilometern schon echt lang, dass man sich bei den Ausfahrten eventuell erstmal rantasten kann. Ich war aber trotzdem überrascht, denn selbst die „langsamsten“ sind bereits 120/130 Kilometer pro Tag geradelt bei Hackenpedder 2024 …
Was ja eine richtig starke Leistung ist …
Absolut! Und vielen reicht das auch schon. Deshalb sollen es auf jeden Fall ein paar kürzere Touren werden. Jetzt steht beispielsweise noch ein „Overnighter“ an. Den kann man alleine oder in Gruppen fahren und er ist so organisiert, dass man dann um 18 Uhr auch am Übernachtungsplatz ankommt, wo ich mit Lagerfeuer und Essen warte. Im Frühling mache ich vielleicht noch etwas nur für FLINTA*, im Herbst auch nochmal einen Overnighter. Vielleicht mit einem Schwerpunkt, beispielsweise „Von der Küste zum Bungsberg“. Dort darf man ja mit Zelt übernachten. Oder im Winter durch den Segeberger Forst.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Hauke Pahl.
Der Hackenpedder Hackenpedder ist eine Bikepacking-Route quer durch Schleswig-Holstein, die durch die abwechslungsreiche Natur zwischen den Meeren führt. Es geht von der Steilküste, über Schotterpisten, durch Wälder, Moore und frisch asphaltierte Schleichwege bis hin zum Deich. Genießt den Norden! Hackenpedder richtet sich an alle, die das Bikepacking oder Ultra-Cycling im Sinne einer Selbstversorger-Veranstaltung kennenlernen möchten. Die Route ist anspruchsvoll, das Konzept hingegen einsteigerfreundlich. Es geht um Spaß mit Gleichgesinnten, lange Tage im Sattel, Nächte im Freien und so seinen Grenzen näherzukommen. Von den 100 Teilnehmer*innen haben im Jahr 2024 57 die beiden Routen bis zum Ziel in Kiel geschafft. Davon haben 18 die 1000 km lange Hackenpedder-Route und 39 den 660 km Shortcut bezwungen. Er startet das nächste Mal am 14. Juni 2025! Ab dem 1.1.2025 kannst Du Dich für den Hackenpedder anmelden. |