Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

An dieser Kreuzung bei Wielen sind die Sichtbedingungen schlecht - Grund genug, dem Radverkehr die Vorfahrt zu verweigern? © Henning von Schöning

UPDATE: Sinn und Unsinn einer neuen Vorfahrtsregelung

Aus ganz Schleswig-Holstein erreichen uns seit einer Weile Zuschriften mit Fotos von “Vorfahrt gewähren”-Schildern, die der Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr neuerdings aufstellt. Was spricht für diese Vorfahrtsregelung und was dagegen? 

Update von Mai 2025:

In der letzten Ausgabe der Pett Man Sülm (02-2024) berichteten wir über die “Vorfahrt gewähren”-Schilder an Radwegen, die in den vergangenen Monaten an vielen Stellen in ganz Schleswig-Holstein an Kreuzungen auftauchten und Radfahrende anweisen, dem KFZ-Verkehr Vorfahrt zu gewähren, obwohl sie entlang der Vorfahrtstraße radeln - und damit die Frage ist, ob sie nicht eigentlich vorfahrtsberechtigt gegenüber abbiegenden Fahrzeugen sind. Das Thema hat auch Euch, unsere Leser*innen, sehr bewegt und wir haben viele Zuschriften mit Beispielen zugesandt bekommen.

Der ADFC SH hat den Fall prüfen lassen und im Ministerium nachgefragt. Herausgekommen ist: Die Auslegung der Verwaltungsvorschrift ist in den meisten Fällen legitim. Einzige Ausnahme bilden dabei tatsächlich nur Schilder, die aufgestellt wurden, obwohl der Radweg weniger als fünf Meter Abstand zur Straße hat. Die Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) fordert nicht den grundsätzlichen Umbau von Kreuzungen, insbesondere dann nicht, wenn sich dadurch die Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen verschlechtern. Ändern kann das Land an den anderen Fällen nichts, ist der entsprechende Abschnitt doch aus der VwV-StVO (wo er auch in der neuen Fassung bleiben wird) - und damit Bundesrecht. Die Regelungen der VwV-StVO sind für die Verwaltung zudem bindend.

In Gesprächen mit Ministerium, Landesverkehrswacht und VCD (Verkehrsclub Nord) wurde nun erarbeitet, dass wenigstens versucht werden soll, eine Einheitlichkeit herzustellen. Deshalb möchte das Ministerium das Thema nochmal aufgreifen und plant, eine klarstellende Information an die nachgeordneten Behörden durchzugeben.

Paragraph 9, II, VwV-StVO

„Im Fall von Radverkehrsanlagen im Zuge von Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) und an Kreuzungen oder Einmündungen mit vorfahrtgebendem Zeichen 301 sind Radwegefurten stets zu markieren. Sie dürfen nicht markiert werden an Kreuzungen und Einmündungen mit Vorfahrtregelung „Rechts vor Links“, an erheblich (mehr als ca. 5 m) abgesetzten Radwegen im Zuge von Vorfahrtstraßen (...)”

In Schleswig-Holstein manifestiert sich dieser unscheinbare Nebensatz in der VwW-StVO leider besonders auffällig in der Realität, hat das Land doch die meisten Radwege an Landesstraßen bundesweit. Ob sich der entsprechende Passus in der VwV-StVO nochmal streichen lässt, bleibt abzuwarten. Andere Bundesländer haben mit dem Thema nämlich vermutlich nicht so viel “Ärger”, weil sie weniger straßenbegleitende Radwege haben als hier im Norden.

Ursprünglicher Text von Dezember 2024:

Hintergrund ist eine Änderung in der Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) aus dem Jahr 2021. Mit dieser Überarbeitung sollte für Radfahrende eigentlich vieles besser werden. Unter anderem müssen Übergänge von Radverkehrswegen über einmündende Seitenstraßen nun stets markiert werden. Allerdings mit einer Einschränkung: Ein Radweg ist nur vorfahrtberechtigt, wenn er direkt neben der Vorfahrtsstraße verläuft. Dieses Vorfahrtsrecht verliert der Radweg aber, wenn er erheblich von der Straße abgesetzt ist. Erheblich meint dabei etwa fünf Meter - und die Überquerung über eine sogenannte "Radwegefurt" stattfindet. Und obwohl Radfahrende weiterhin an der Vorfahrtsstraße entlang fahren, müssen sie ihre Fahrt nun unterbrechen, um den einmündenden Autoverkehr abzuwarten.

 

Kleines Schild, großer Rückschritt

Ein Kommentar von Fenja Simon gegen das Aufstellen der Schilder  

Da nähere ich mich letztens auf dem Weg vom Einkaufen zurück nach Hause radelnd der Kreuzung und sehe ein “Vorfahrt gewähren”-Schild - für mich! Das Auto, das abbiegen wollte, hielt natürlich an und verstand überhaupt nicht, warum ich ebenfalls anhielt. Denn eigentlich bedeutete diese Kreuzung bisher - zumindest in der gelebten Praxis -, dass Autofahrende für den Radverkehr anhalten. Schließlich gibt es ein Stoppschild für alle Fahrzeuge, die aus der Straße kommen, eine Aufstellfläche für alle Fahrzeuge, die abbiegen, und der Radweg ist so verschwenkt, dass Radfahrer*innen nicht mehr im toten Winkel einbiegender Fahrzeuge sind. Also perfekte Voraussetzungen, dass Radfahrende hier Vorfahrt genießen. Neuerdings steht hier wie erwähnt aber ein “Vorfahrt gewähren”-Schild - das Radfahrende anweist, den Autos den Vortritt zu lassen. Wie so oft und überall und jetzt auch hier. Nun können abbiegende Autos einfach so über die Kreuzung fahren, ohne zu schauen, ob sich ein Fahrrad nähert. Das ist doch gefährlich! Und das Gegenteil von Fahrradfreundlichkeit. Diese von Autofahrenden endlich verinnerlichte Regel - und zwar, dass ein geradeaus fahrendes Fahrrad Vorfahrt hat - wird damit über den Haufen geworfen. 

Abgesehen davon, dass das Schild zu mehr Unsicherheit auf beiden Seiten führt, sollten inzwischen doch alle begriffen haben, dass wir den umwelt- und kostenschonenden sowie gesundheitsfördernden Radverkehr stärken und die Sicherheit von ungeschützeren Verkehrsteilnehmenden stärker in den Fokus nehmen sollten. Diese Maßnahme, so klein sie auch ist, bewirkt exakt das Gegenteil.

Das erscheint mir nicht gerade im Sinne der Radfahrenden und schon gar nicht im Sinne der Verkehrswende zu sein, da auf diese Weise sicherere Kreuzungen, das heißt solche mit größerem Abstand zur Straße, wieder unsicherer und unkomfortabler gemacht werden - ja, auch letzteres ist wichtig. Die Verschwenkung, also das Zurücksetzen des Radwegs, wurde doch extra “erfunden”, weil Radfahrer so aus dem toten Winkel von abbiegenden Fahrzeugen herauskommen. 

Mit Fahrradfreundlichkeit hat das wie gesagt jedenfalls nichts mehr zu tun. Eher mit Paragraphenreiterei. Und was nun? Einige Stimmen schlagen vor, Radwege nicht mehr zu verschwenken, damit die automatische Vorfahrt für Radfahrende nicht wegfällt. Und damit Radfahrende wieder in den toten Winkel schicken? Also entweder ich lasse mich überfahren oder ich muss mal wieder warten, damit ein paar Autos einige Sekunden schneller sind? Das kann es doch nicht sein. Wie wäre es stattdessen mit markierten, vorfahrtsberechtigten UND verschwenkten Radwegfurten? 

 

Kleines Schild, keine Missverständnisse

Ein Kommentar von Jürgen Lieske für das Aufstellen der Schilder 

Wann fahre ich geradeaus und wann quere ich eine Fahrbahn? Wenn ich in eine Einmündung einfahre und erst nach 50 Metern die Fahrbahn quere, ist es unstrittig, dass man nicht mehr "geradeaus" fährt - und damit keine Vorfahrt mehr hat. Diese strittige Grenze wurde in der besagten Verwaltungsvorschrift eben auf fünf Meter gelegt. Darüber kann man sich nun ärgern. 

Ich sage: Dieses Schild verhindert tödliche Missverständnisse! Insbesondere weil außerorts häufig die Kurvenradien größer als fünf Meter sind, wodurch Kfz mit höheren Geschwindigkeiten abbiegen können, ist es unter den aktuellen Gegebenheiten einfach ratsamer für Radfahrende, ein kurzes Anhalten in Kauf zu nehmen. Umso besser, dass sie nun mit einem Schild darauf aufmerksam gemacht werden. Zudem argumentiert beispielsweise die Verkehrsbehörde des Kreis Plön, dass es eine Ermessensfrage ist, ob das Schild aufgestellt wird. Entscheidend seien dabei die Sichtbeziehungen - und das gelte sowohl für verschwenkte, als auch für nicht-verschwenkte Radwege. Ist die Sichtbeziehung zu schlecht, wird das “Vorfahrt gewähren”-Schild aufgestellt. Das finde ich inkonsequent - denn Sichtbeziehungen setzen Bremsbereitschaft voraus und können bei zu hohen Geschwindigkeiten nicht jeden Unfall verhindern. Deshalb rate ich, so wie die Kreuzungen derzeit zumindest gestaltet sind – allen Radfahrenden, lieber Vorfahrt zu gewähren - egal, ob dort ein “Vorfahrt gewähren”-Schild steht oder nicht.

Alternativ - und das wäre auch mir am Liebsten - könnte man natürlich auch die abbiegenden Kfz mit geeigneten Mitteln (dänische Haifischzähne, Haltelinie, Vorfahrt achten mit Achtung Radfahrende oder Stoppschild) zum Anhalten bringen, um den Radfahrenden die Vorfahrt zu gewähren - auch wenn sie sie bisher nicht hatten.

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