Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

An dieser Kreuzung bei Wielen sind die Sichtbedingungen schlecht - Grund genug, dem Radverkehr die Vorfahrt zu verweigern? © Henning von Schöning

Sinn und Unsinn einer neuen Vorfahrtsregelung

Aus ganz Schleswig-Holstein erreichen uns seit einer Weile Zuschriften mit Fotos von “Vorfahrt gewähren”-Schildern, die der Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr neuerdings aufstellt. Was spricht für diese Vorfahrtsregelung und was dagegen? 

Hintergrund ist eine Änderung in der Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) aus dem Jahr 2021. Mit dieser Überarbeitung sollte für Radfahrende eigentlich vieles besser werden. Unter anderem müssen Übergänge von Radverkehrswegen über einmündende Seitenstraßen nun stets markiert werden. Allerdings mit einer Einschränkung: Ein Radweg ist nur vorfahrtberechtigt, wenn er direkt neben der Vorfahrtsstraße verläuft. Dieses Vorfahrtsrecht verliert der Radweg aber, wenn er erheblich von der Straße abgesetzt ist. Erheblich meint dabei etwa fünf Meter - und die Überquerung über eine sogenannte "Radwegefurt" stattfindet. Und obwohl Radfahrende weiterhin an der Vorfahrtsstraße entlang fahren, müssen sie ihre Fahrt nun unterbrechen, um den einmündenden Autoverkehr abzuwarten.

Aktuell beschäftigt sich auch der Vorstand des ADFC Schleswig-Holstein mit der Frage und 

 

Kleines Schild, großer Rückschritt

Ein Kommentar von Fenja Simon gegen das Aufstellen der Schilder  

Da nähere ich mich letztens auf dem Weg vom Einkaufen zurück nach Hause radelnd der Kreuzung und sehe ein “Vorfahrt gewähren”-Schild - für mich! Das Auto, das abbiegen wollte, hielt natürlich an und verstand überhaupt nicht, warum ich ebenfalls anhielt. Denn eigentlich bedeutete diese Kreuzung bisher - zumindest in der gelebten Praxis -, dass Autofahrende für den Radverkehr anhalten. Schließlich gibt es ein Stoppschild für alle Fahrzeuge, die aus der Straße kommen, eine Aufstellfläche für alle Fahrzeuge, die abbiegen, und der Radweg ist so verschwenkt, dass Radfahrer*innen nicht mehr im toten Winkel einbiegender Fahrzeuge sind. Also perfekte Voraussetzungen, dass Radfahrende hier Vorfahrt genießen. Neuerdings steht hier wie erwähnt aber ein “Vorfahrt gewähren”-Schild - das Radfahrende anweist, den Autos den Vortritt zu lassen. Wie so oft und überall und jetzt auch hier. Nun können abbiegende Autos einfach so über die Kreuzung fahren, ohne zu schauen, ob sich ein Fahrrad nähert. Das ist doch gefährlich! Und das Gegenteil von Fahrradfreundlichkeit. Diese von Autofahrenden endlich verinnerlichte Regel - und zwar, dass ein geradeaus fahrendes Fahrrad Vorfahrt hat - wird damit über den Haufen geworfen. 

Abgesehen davon, dass das Schild zu mehr Unsicherheit auf beiden Seiten führt, sollten inzwischen doch alle begriffen haben, dass wir den umwelt- und kostenschonenden sowie gesundheitsfördernden Radverkehr stärken und die Sicherheit von ungeschützeren Verkehrsteilnehmenden stärker in den Fokus nehmen sollten. Diese Maßnahme, so klein sie auch ist, bewirkt exakt das Gegenteil.

Das erscheint mir nicht gerade im Sinne der Radfahrenden und schon gar nicht im Sinne der Verkehrswende zu sein, da auf diese Weise sicherere Kreuzungen, das heißt solche mit größerem Abstand zur Straße, wieder unsicherer und unkomfortabler gemacht werden - ja, auch letzteres ist wichtig. Die Verschwenkung, also das Zurücksetzen des Radwegs, wurde doch extra “erfunden”, weil Radfahrer so aus dem toten Winkel von abbiegenden Fahrzeugen herauskommen. 

Mit Fahrradfreundlichkeit hat das wie gesagt jedenfalls nichts mehr zu tun. Eher mit Paragraphenreiterei. Und was nun? Einige Stimmen schlagen vor, Radwege nicht mehr zu verschwenken, damit die automatische Vorfahrt für Radfahrende nicht wegfällt. Und damit Radfahrende wieder in den toten Winkel schicken? Also entweder ich lasse mich überfahren oder ich muss mal wieder warten, damit ein paar Autos einige Sekunden schneller sind? Das kann es doch nicht sein. Wie wäre es stattdessen mit markierten, vorfahrtsberechtigten UND verschwenkten Radwegfurten? 

 

Kleines Schild, keine Missverständnisse

Ein Kommentar von Jürgen Lieske für das Aufstellen der Schilder 

Wann fahre ich geradeaus und wann quere ich eine Fahrbahn? Wenn ich in eine Einmündung einfahre und erst nach 50 Metern die Fahrbahn quere, ist es unstrittig, dass man nicht mehr "geradeaus" fährt - und damit keine Vorfahrt mehr hat. Diese strittige Grenze wurde in der besagten Verwaltungsvorschrift eben auf fünf Meter gelegt. Darüber kann man sich nun ärgern. 

Ich sage: Dieses Schild verhindert tödliche Missverständnisse! Insbesondere weil außerorts häufig die Kurvenradien größer als fünf Meter sind, wodurch Kfz mit höheren Geschwindigkeiten abbiegen können, ist es unter den aktuellen Gegebenheiten einfach ratsamer für Radfahrende, ein kurzes Anhalten in Kauf zu nehmen. Umso besser, dass sie nun mit einem Schild darauf aufmerksam gemacht werden. Zudem argumentiert beispielsweise die Verkehrsbehörde des Kreis Plön, dass es eine Ermessensfrage ist, ob das Schild aufgestellt wird. Entscheidend seien dabei die Sichtbeziehungen - und das gelte sowohl für verschwenkte, als auch für nicht-verschwenkte Radwege. Ist die Sichtbeziehung zu schlecht, wird das “Vorfahrt gewähren”-Schild aufgestellt. Das finde ich inkonsequent - denn Sichtbeziehungen setzen Bremsbereitschaft voraus und können bei zu hohen Geschwindigkeiten nicht jeden Unfall verhindern. Deshalb rate ich, so wie die Kreuzungen derzeit zumindest gestaltet sind – allen Radfahrenden, lieber Vorfahrt zu gewähren - egal, ob dort ein “Vorfahrt gewähren”-Schild steht oder nicht.

Alternativ - und das wäre auch mir am Liebsten - könnte man natürlich auch die abbiegenden Kfz mit geeigneten Mitteln (dänische Haifischzähne, Haltelinie, Vorfahrt achten mit Achtung Radfahrende oder Stoppschild) zum Anhalten bringen, um den Radfahrenden die Vorfahrt zu gewähren - auch wenn sie sie bisher nicht hatten.  

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