Endlich ein Radverkehrsnetz - doch kein Radweg in Sicht
Ein Radnetz von 2004 als Planungsgrundlage? Das soll sich ändern! Ein neues landesweites Radverkehrsnetz ist (endlich) in Arbeit. Aber kommen damit neue Radwege, kommen sie schneller und besser? Wir geben einen Überblick über den aktuellen Stand.
„Wenn Radwege am Ortsausgang enden und man sich danach die Straße mit Autos, LKWs und Bussen teilen muss, die bis zu 100 km/h fahren, ist das zu wenig attraktiv, um Menschen fürs Radfahren zu begeistern“, stellt Stephanie Meyer, Landesvorsitzende des ADFC Schleswig-Holstein, fest. „Leider haben wir diverse Lücken im Radwegenetz und bisher fehlt der Verwaltung eine strukturierte Übersicht, um diese zu schließen“. Das hat auch die Landesregierung erkannt und deshalb die Weiterentwicklung des Landesweiten Radverkehrsnetzes (LRVN) als Schlüsselmaßnahme der Radstrategie 2030 definiert, um diese Lücken im Netz zeitnah zu schließen. Es soll allen Beteiligten vom Land bis zu den Kommunen eine Übersicht geben, welche Strecken und Wegelücken mit welcher Priorität ausgebaut oder erneuert werden sollen. Denn das bisherige Netz stammt aus dem Jahr 2004, und nur eingefleischte Expert*innen wissen, wann dieses zuletzt wirklich als Grundlage für Radwegeplanungen genutzt wurde. Somit fehlt nicht nur ein Sachstand der Radinfrastruktur im Land, sondern auch eine Übersicht, welche Radwege in Zukunft mit welcher Priorität saniert oder neu gebaut werden. Umso besser, dass nun - über drei Jahre nach Verabschiedung der Radstrategie (September 2020) - die Veröffentlichung eines grundständig erneuerten LRVN ansteht.
Landesweites Radverkehrsnetz (LRVN) ambitioniert, aber verzögert; Qualitätsstandards verschoben
Und die vorgegebene Marschrichtung des Planungsbüros “team red” klang vielversprechend. Das Netz soll „viele Einwohner*innen und Gäste für das Radfahren im Alltag, in der Freizeit und im Urlaub gewinnen“ und die Zielgruppen wurden „weit gefasst: Erwachsene, Jugendliche, Kinder; auf Alltagswegen Mobile, Erholungssuchende; Routinierte, unsichere und noch nicht Radfahrende“. Im Juli 2023 wurde der erste Entwurf vorgestellt, der die bisher vorliegenden Netzplanungen der Kreise, kreisfreien Städte und großen Kommunen wie auch die bekannten Radschnellweg- und Radpremiumrouten, schon berücksichtigte. Der ADFC Schleswig-Holstein war neben Kreisen, Kommunen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Stellungnahme aufgerufen und brachte viele Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge ein. Die überarbeitete Fassung sollte bereits Ende September vorliegen. Aus dem Verkehrsministerium war jedoch bis Redaktionsschluss (23. Oktober 2023) nur zu hören, dass „bis zum Ende des Jahres die Netzkarten auch online verfügbar sind“.
Mit einem Jahr Planungszeit war die Überarbeitung eines neuen Netzes mit ausreichender Beteiligung von Kreisen, kreisfreien Städten und Kommunen sehr ambitioniert. Weniger zufrieden ist der ADFC über die Auskunft, dass die noch zu Beginn des Prozesses angekündigten Qualitätsstandards für den Radwegeausbau und die Instandsetzung nicht mehr gleichzeitig mit dem LRVN veröffentlicht und verabschiedet werden sollen. Die Standards wurden vom Verkehrsministerium aus dem ursprünglichen Auftrag herausgenommen. Das Gutachterbüro soll nur noch Empfehlungen erarbeiten. In einem „anschließende[n] Beteiligungsprozess [sollen die Standards] mit den Kommunen erarbeitet werden“. Diese Kriterien sind aber wichtig, um einheitlich hochwertige Radwege im gesamten Land zu bekommen und den Flickenteppich unterschiedlicher Baustandards zu verhindern.
Was ist eigentlich … das LRVN?
Das landesweite Radverkehrsnetz für Schleswig-Holstein wird baulastträgerübergreifend konzipiert und beinhaltet sowohl die wichtigen überörtlichen Verbindungen für den Alltagsradverkehr einschließlich der Trassen für Radschnellverbindungen als auch überregional touristisch bedeutende Radrouten. Besondere Berücksichtigung erhalten darüber hinaus relevante Achsen für den Schülerverkehr. Das Radverkehrsnetz dient nicht nur als Bestandsaufnahme, sondern fungiert nach Veröffentlichung als sich stets weiterentwickelndes Planungsinstrument. Anhand der Netzplanung können die Radwegemaßnahmen der Baulastträger priorisiert umgesetzt werden. Das LRVN Schleswig-Holstein beinhaltet dabei drei sogenannte Netzebenen: Netzebene 1: Verbindungen zentraler Orte; Ebene 2: Schulwege, Arbeits- und Ausbildungswege; Ebene 3: Touristisches Radnetz
Endlich Fachpersonal fürs Fahrrad im LBV (Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr)
Wenn das Land mit der Radstrategie und einer aktualisierten Netzplanung den Rahmen und die Priorität für Sanierung und Neubau vorgegeben hat, könnte der Ausbau doch beginnen – denkt man nun. Besonders, da die Stabsstelle Radverkehr im LBV Anfang des Jahres von drei auf 13 Personalstellen aufgestockt und fast vollständig besetzt wurde. „Die Stabsstelle ist eine wichtige koordinierende Stelle, die lange gefehlt hat und jetzt in der Landesverwaltung für den Radverkehr werben kann und muss. Der Rückstau bei der Sanierung ist riesig und die Verwaltung noch auf Straßenbau eingestellt“, stellt Stephanie Meyer fest.
Geld verschenkt durch fehlende baureife Planungen
Wie notwendig eine starke Stimmung für die Radinfrastrukturplanung ist, zeigt der Mittelabfluss für Radwege an Landesstraßen. 2023 wurden erstmals 20 Millionen Euro nur für straßenbegleitende Radwege an Landesstraßen bereitgestellt. Allerdings schafft das Land es nicht, die Mittel im Haushaltsjahr auszugeben. Einfach, weil nichts gebaut werden kann - es fehlt an ausreichend baureifen Planungen! Umso wichtiger ist es deshalb aus Sicht des ADFC, dass diese Finanzmittel für die kommenden Jahre verstetigt werden und das Land mit positiver Stimmung und gutem Beispiel für Kreise und Kommunen vorangeht.
Flickenteppich bei den Kreisen: Vom fehlenden Konzept ...
Selbst wenn das Netz noch zeitnah in 2024 verabschiedet wird und das Land zügig hochwertige Qualitätsstandards festlegt, holpert der Radwegeausbau im Land eher, als dass er rollt. Zwei Kreisen fehlt das Radverkehrskonzept, den übrigen neun die Mittel zur Umsetzung - beginnend beim Personal bis zu den Finanzmitteln für den Bau. Trotz 90 Prozent-Förderung scheitern finanzschwache Kommunen am Eigenanteil von 10 Prozent.
Das zeigt eine Abfrage von RAD.SH (Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Schleswig-Holstein) von August 2023 unter allen Kreisen. Während in Städten und großen Kommunen eigene Rad- oder Mobilitätsbeauftragte bereits zum Standard gehören, haben lediglich die Kreise Pinneberg und Rendsburg-Eckernförde hauptamtliche Fahrradbeauftragte.
... bis zum fehlenden Personal
„Als traurige Ausnahme geht leider der Kreis Segeberg hervor, in dem die Radverkehrsbeauftragte ehrenamtlich tätig ist. Ohne hauptamtliche Expertise in der Verwaltung kann Radverkehrsförderung aber nicht gelingen“, stellt Stephanie Meyer, Landesvorsitzende des ADFC Schleswig-Holstein, fest und verweist auf ein gutes Vorreiterprojekt in Baden-Württemberg.
Die dortige Landesregierung hat erkannt, dass Radverkehr professionelles Personal braucht – und die Kreise finanzielle Anreize, diese Stellen zu schaffen. Baden-Württemberg fördert pro Kreis eine Radverkehrskoordinator*in für vier Jahre, die ersten zwei Jahre trägt das Land die Kosten, in den folgenden Jahren der Kreis. „Das Angebot wird so gut angenommen, dass einzelne Kreise nach der Förderung nicht nur die Stellen verstetigt, sondern weiteres Personal eingestellt haben", weiß Meyer zu berichten.
Auch die Kreise in Schleswig-Holstein stünden hinter der Forderung an die Landesregierung: „Das braucht es auch bei uns im Norden – denn nur mit einer Rad-Stimme in der Verwaltung wird Radinfrastruktur gelingen!“
Landesvorsitzende Stephanie Meyer zieht ein gemischtes Fazit: „Schleswig-Holstein hat sich auf den Weg gemacht, Fahrradland zu werden. Das ist nun auch bei (fast) allen Kreisen angekommen. Doch die Priorität liegt immer noch zu sehr auf dem Auto. Einige Kreise gehen mit gutem Beispiel voran, dem sollten möglichst viele folgen – finanziell und ideell unterstützt vom Land!“
Wunschradnetz selbst gemacht – mit dem ADFC-Mapathon
Beim ADFC-Mapathon bringen ADFC-Aktive und engagierte Bürger*innen ihre Erfahrungen, Ideen und Wünsche ein und skizzieren ihr Wunschradnetz, um sich damit in ihrer Stadt oder Gemeinde für eine bessere Radinfrastruktur einzusetzen. Am Ende des ADFC-Mapathons steht ein konkreter Vorschlag für das Radwegenetz vor Ort, das an die Stadt- oder Gemeindeverwaltung übergeben wird.