
Verkehrsminister Madsen auf Fahrradtour mit ADFC-Vorstand Henning von Schöning und ADFC-Landesgeschäftsführer Jan Voß © ADFC SH
Interview mit Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen: Fünf Jahre Radstrategie SH
Vor fünf Jahren verabschiedete der Landtag die Radstrategie „Ab aufs Rad im echten Norden - Die Radstrategie Schleswig-Holstein 2030“. Wie geht es in den nächsten fünf Jahren weiter? Das verrät uns Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen im Interview.
ADFC SH: Wie geht es mit der Radstrategie in den nächsten fünf Jahren weiter?
Madsen: Schleswig-Holstein ist in seinem und meinem Selbstverständnis ein Fahrradland – wir sind auf einem guten Weg dahin, aber haben noch einiges an Strecke vor uns. Eines ist klar: Damit unsere hochgesetzten Ziele erreicht werden, werden wir in sinnvollen Zeitabständen überprüfen, ob unsere Radstrategie tatsächlich die gewünschten Effekte erzielt. Deshalb wird sie im Jahr 2025 einer externen Evaluierung unterzogen. Wir wollen wissen: Wo sind wir auf dem richtigen Weg? Wo müssen wir die Maßnahmen anpassen? Und was braucht es, damit noch mehr Menschen in Schleswig-Holstein auf das Rad umsteigen?
Klar ist auch: Die zukünftige Ausrichtung wird maßgeblich von den Ergebnissen dieser Evaluierung abhängen. Es bringt nichts, stur an Maßnahmen festzuhalten, die nicht oder nur in Kombination mit anderen Maßnahmen, die bisher nicht im Fokus standen, die gewünschte Wirkung entfalten. Wir brauchen einen klaren Kompass für die kommenden Jahre – auf Basis von verlässlichen Daten und Fakten.
Dabei dürfen wir die Rahmenbedingungen nicht außer Acht lassen. Die Welt ist im Wandel. Die neue Bundesregierung wird eine wichtige Rolle spielen – gerade wenn es um die finanziellen Mittel geht. Ob es um Förder- und Finanzierungsprogramme des Bundes oder um eine verlässliche Unterstützung für die Kommunen geht: Wir werden genau hinschauen, welche Möglichkeiten sich für Schleswig-Holstein ergeben. Unser Ziel bleibt es, das Radfahren für alle attraktiver, sicherer und komfortabler zu machen – egal ob im ländlichen Raum oder in den Städten.
ADFC SH: Wie schätzen Sie die Wichtigkeit der Radstrategie für die Entwicklung des Radverkehrs in Schleswig-Holstein ein?
Madsen: Unsere Radstrategie ist der Dreh- und Angelpunkt für alles, was wir im Bereich Radverkehr als Teil der Mobilitätsvorsorge bewegen. Sie ist unser Handbuch, unser Fahrplan und unser Werkzeugkasten – alles in einem. Und vor allem: Sie ist keine bloße Absichtserklärung, sondern beinhaltet ganz konkrete Maßnahmen, mit denen wir Schleswig-Holstein fahrradfreundlicher machen.
Wir haben schon viel erreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. So haben wir die Investitionen in den Radverkehr in den letzten vier Jahren verfünffacht – allein in diesem Jahr fließen rund 30 Millionen Euro in Radwege, Abstellanlagen, Servicestationen und Wegweisungssysteme. Das ist ein starkes Signal.
Aber Geld allein reicht nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch dort ankommt, wo es am meisten gebraucht wird, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Deshalb arbeiten wir eng mit Gemeinden, Kreisen und Verbänden zusammen, um die Umsetzung so effizient und zielgerichtet wie möglich zu gestalten. Und wir wissen: Radverkehrsförderung ist kein Selbstzweck. Sie macht unsere Städte und Gemeinden lebenswerter, sie stärkt die regionale Wirtschaft – und sie hilft uns auch, unsere Klimaziele zu erreichen.
Kurz gesagt: Radverkehr ist ein zentraler Baustein für die Mobilitätswende in Schleswig-Holstein. Deshalb bleibt die Radstrategie ein absolutes Prioritätsthema – jetzt und in den nächsten Jahren.
ADFC SH: Bei welchem der drei Kernziele der Radstrategie sehen Sie den größten Nachbesserungs- bzw. Nachholbedarf? Welche Maßnahmen sind für diesen Bereich geplant?
Madsen: Ganz klar: Wir müssen auch weiterhin die Infrastruktur verbessern. Ohne attraktive und sichere Radwege werden wir in keinem der Ziele weiterkommen. Wir brauchen daher noch mehr gute, sichere und durchgängige Radwege – das heißt Lücken im Netz müssen schneller geschlossen und das Bestandsnetz schneller saniert werden. Das ist der Punkt, an dem wir am meisten weiterkommen müssen.
Wir haben als Land bereits viel investiert, die Förderprogramme laufen auf Hochtouren, die Kommunen bekommen mehr Unterstützung als je zuvor. Aber in der Praxis sehen wir auch: Viele Projekte dauern einfach zu lange. Genehmigungsverfahren, Abstimmungsprozesse, fehlende Planungskapazitäten – all das bremst uns aus. Und genau hier müssen wir ansetzen.
Deshalb werden wir in den nächsten Jahren noch stärker darauf achten, dass Mittel nicht nur bereitgestellt, sondern auch schneller und effizienter genutzt werden. Wir müssen Prozesse vereinfachen und gezielt dort unterstützen, wo es klemmt.
Dazu gehört auch: Wir müssen den Fokus breiter setzen. Es geht nicht nur um Radwege zwischen Städten und Dörfern – sondern auch um die Suprastruktur: Sichere Abstellanlagen, gute Beschilderung, wo nötig Beleuchtung, Fahrradstraßen und ein vernetztes Mobilitätssystem. Radverkehr endet nicht an der Stadtgrenze oder am Bahnhof – er muss nahtlos in den gesamten Verkehr integriert sein.
Klar ist: Wir haben uns große Ziele gesetzt und wir werden auf dem Weg dahin nicht lockerlassen. Schleswig-Holstein soll ein Land werden, in dem Radfahren selbstverständlich ist – für alle, egal ob auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder in der Freizeit bzw. im Urlaub.
ADFC SH: Der Evaluationsbericht aus dem Dezember 2024 hat gezeigt, dass es beim Modal Split des Radverkehrs keine signifikante Steigerung (2017: 13 %, 2024: ebenfalls 13.7 %) gab. Wie interpretieren Sie diese Stagnation?
Zuerst einmal: Die neuen Zahlen der „Mobilität in Deutschland“-Studie, die kürzlich veröffentlicht wurde, zeigen ein deutlich positiveres Bild. Für Schleswig-Holstein liegt der Radverkehrsanteil im Modal Split für das Jahr 2023 bei 15 %. Das ist ein klarer Fortschritt gegenüber den 13 % aus dem Jahr 2017. Diese Entwicklung motiviert uns enorm. Wir sind also nicht stehen geblieben – ganz im Gegenteil: Wir haben Fahrt aufgenommen.
Wir nehmen diese Entwicklung als Bestätigung dafür, dass unsere Anstrengungen Wirkung zeigen – auch wenn wir wissen: Da geht noch mehr. Damit das gelingt, erwarten wir von der diesjährigen Evaluierung Erkenntnisgewinne, wo wir nachschärfen sollten und warum die subjektive Wahrnehmung, dass mehr Menschen mit dem Rad unterwegs sind, sich nicht noch stärker in dem hier zugrunde gelegten Modal Split widerspiegelt.
Wir sehen, dass wir an vielen Stellen die richtigen Impulse gesetzt haben – die Infrastruktur wird besser, die Investitionen in den Radverkehr sind auf Rekordniveau, das Interesse am Radfahren ist da. Aber offensichtlich reicht das noch nicht aus, um noch mehr Menschen nachhaltig aufs Fahrrad zu bringen, um gleichzeitig Teile der Mobilität per Pkw zu ersetzen. Das nehmen wir ernst und sind auf die Ergebnisse der Evaluierung gespannt.
Für uns bedeutet das: Wir müssen voraussichtlich noch gezielter ran. Noch mehr in Sicherheit investieren, noch stärker die Alltagsradler in den Blick nehmen, Hemmnisse abbauen und fürs Radfahren werben: „Gutes tun und darüber reden“. Es reicht nicht, einfach nur gute Radwege zu schaffen – die Menschen müssen das Radfahren auch als die beste Wahl für ihre Alltagsmobilität wahrnehmen.
ADFC SH: Die "Entwicklung eines landesweiten Verkehrssicherheitskonzeptes" ist in der Radstrategie als Schlüsselmaßnahme im Handlungsfeld “Verkehrssicherheit” genannt. Wann soll dieses erarbeitet sein bzw. veröffentlicht werden?
Madsen: Mobilität ist ein zentraler Bestandteil unseres modernen Lebens. Die Qualität und Sicherheit des Straßenverkehrs in Schleswig-Holstein spielt für uns eine wichtige Rolle. Die Landesregierung fühlt sich dabei der Vision Zero verpflichtet. Mit der “‚Radstrategie Schleswig-Holstein 2030”‘ wurde die Grundlage für die Entwicklung des Radverkehrs in Schleswig-Holstein gelegt. In verschiedenen Arbeitskreisen und mit unterschiedlichen Maßnahmen beteiligt sich eine Vielzahl von Akteuren im Land aktiv an der Verkehrssicherheitsarbeit. Für das besondere Engagement möchte ich mich an dieser Stelle einmal herzlich bedanken.
In Schleswig-Holstein sind die Schwerpunkte der Verkehrssicherheitsarbeit bislang nicht in einem übergeordneten Verkehrssicherheitskonzept zusammengefasst. Im Interesse einer möglichst wirksamen Kommunikation war es in der Vergangenheit gelebte Praxis, dass sich die Verkehrssicherheitsarbeit in dem programmatischen Rahmen bewegt, der von der Europäischen Kommission und dem Bundesverkehrsministerium vorgezeichnet ist. Diese Philosophie wurde - auch vor dem Hintergrund der beschriebenen Schlüsselmaßnahmen in der Radstrategie - im Rahmen des parlamentarischen Beratungs- und Diskussionsprozesses hinterfragt. Die Aspekte der Verkehrssicherheit sind jedoch nicht nur auf den Radverkehr und dessen Infrastruktur beschränkt, sondern betreffen auch andere Verkehrsteilnehmende und Handlungsfelder. Welch breites Spektrum die Verkehrssicherheitsarbeit umfasst, zeigten auch die Ergebnisse der schriftlichen Anhörung der schleswig-holsteinischen Verkehrssicherheitsakteure. Ein besonderes Gewicht hat die Mobilitäts- und Verkehrserziehung. Die Rückmeldungen ließen sowohl den Wunsch nach einer konzeptionellen und strategischen Grundlage, als auch nach einem weiterhin pragmatischen Vorgehen erkennen.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Landesregierung entschieden, die bestehenden Strukturen und Inhalte der präventiven Verkehrssicherheitsarbeit analysieren zu lassen. Ziel ist es, Verbesserungspotentiale zu identifizieren und eine Grundlage für die zukünftige Ausrichtung zu schaffen. Gleichzeitig soll auch der für die mögliche Entwicklung eines landesweiten Verkehrssicherheitskonzeptes notwendige finanzielle und personelle Ressourceneinsatz bestimmt werden. Ich gehe fest davon aus, dass uns die Ergebnisse bzw. Empfehlungen der Evaluierung dabei helfen, ein gemeinsames Verständnis der Vision Zero zu entwickeln und den Straßenverkehr in Schleswig-Holstein attraktiv und sicher zu gestalten.
ADFC SH: Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen Jahre, was haben Sie daraus für die Zukunft mitgenommen?
Madsen: Die bisherige Erfahrung bei der Umsetzung der Radstrategie hat ganz klar gezeigt: Wir erreichen am meisten, wenn wir gemeinsam anpacken. Wenn Land, Kreise, Kommunen, Verbände, Initiativen und Bürgerinnen und Bürger an einem Strang ziehen, entsteht eine Dynamik, die echte Veränderungen möglich macht. Jede und jeder bringt andere Stärken und Perspektiven mit – und genau das macht die Zusammenarbeit so wertvoll. Ich bin überzeugt: Wenn wir diese Energie weitertragen, untergehakt und mit klarem Ziel vor Augen, dann schaffen wir es, Schleswig-Holstein nicht nur sicherer, sondern auch lebenswerter und damit zukunftsfähiger zu machen.