
Die Rad-Macherinnen: Wie Schleswig-Holstein aufs Rad kam
Mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Radverkehrspolitik haben Karin Druba und Ann Kristin Skyschus einen einzigartigen Einblick in die Entwicklung der "Radstrategie Schleswig-Holstein 2030". Wir haben uns mit ihnen zum Gespräch getroffen.
In Schleswig-Holstein gibt es für den Radverkehr ein „Davor“ und ein „Danach“. Gemeint ist die Radstrategie „Ab aufs Rad im echten Norden“, die 2020 verabschiedet wurde. Dass es sie gibt, ist nicht selbstverständlich und hat den wichtigen Grundstein für die zukünftige Entwicklung des Radverkehrs im Land gelegt. Nun ist sie fünf Jahre alt und nicht mehr wegzudenken. Grund genug, um einen Blick zurück zu werfen und zu schauen, woher wir kommen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung im Radverkehrsreferat können uns Karin Druba, Leiterin des Referates Grundsatzfragen Verkehrspolitik, Radverkehr und Referatsmitarbeiterin Ann Kristin Skyschus einen einzigartigen Einblick in die Entwicklung geben. Wir haben uns mit ihnen zum Gespräch getroffen, um zu erfahren: Wie sah eigentlich das „Davor“ aus?“
Können Sie uns mitnehmen an den Anfang des Prozesses zur Entwicklung der Radstrategie 2030? Was war der konkrete
Anlass oder die Initialzündung für die Erarbeitung einer solchen Strategie in Schleswig-Holstein?
Druba: Dafür muss ich etwas ausholen … Ungefähr 2014 kam der Wunsch auf, das Fahrradforum wiederzubeleben, das zuvor eingeschlafen war. Damals war die Situation schwierig, es gab kaum finanzielle Mittel für den Radverkehr. Wir mussten klein anfangen und immer wieder darauf hinweisen, dass mehr getan werden muss. Der Durchbruch kam 2017 mit dem Koalitionsvertrag. In einem Gespräch mit Minister Dr. Buchholz schlug dann Herr Thomas Möller, der damalige Landesvorsitzende, das BYPAD-Verfahren vor. Dieses Verfahren, das auf intensivem Dialog basiert, war der Schlüssel zur Entwicklung unserer Radstrategie. Und von da an ging es wirklich schnell voran.
Wie meinen Sie das?
Druba: Ich glaube, es ist noch nie so schnell eine Strategie entwickelt worden. Im Januar 2019 war das Auftakttreffen zum BYPAD-Verfahren, im Dezember 2019 war der Abschlussbericht da, im Mai 2020 stand der erste Entwurf der Strategie und im Sommer wurde sie verabschiedet. Und das trotz der Beteiligung von 16 verschiedenen Institutionen - vom ADFC über Landesverkehrswacht, VCD, verschiedene Ministerien bis hin zu den politischen Fraktionen.
Wie sah denn die Ausgangssituation des Radverkehrs in Schleswig-Holstein vor dem Koalitionsvertrag 2017 aus? Erinnern Sie sich, welche Herausforderungen oder Problemfelder besonders dringlich waren?
Druba: Es gab kaum Geld für den Radverkehr, der im Straßenverkehrsreferat eher ein Randthema war. Zwar wurden Radwege vom LBV.SH saniert, aber der Sanierungsbedarf wuchs. Mit dem Koalitionsvertrag 2017 änderte sich das Bild: Die RAD.SH entstand und das Thema Radverkehr wurde im MWVATT explizit in das neu geschaffene Referat aufgenommen. Das war der Punkt, an dem alles zusammen kam.
Skyschus: Genau, da kam auch ich ins Referat! Das war im Mai 2019. Und dann ging es ja auch schon direkt los.
Was haben Sie dann als erstes gemacht, erinnern Sie sich? Denn ich kann mir vorstellen, dass man da vor einer Mammutaufgabe steht und im ersten Moment vielleicht etwas überfordert ist. Wo fängt man an, wo hört man auf?
Skyschus: Das BYPAD-Verfahren war zu dem Zeitpunkt bereits extern vergeben und ich fing pünktlich zur ersten Sitzung an. Das war super hilfreich, denn so hatten wir einen Fahrplan und eine Struktur, nach der wir arbeiten konnten. Das Ergebnis war ja auch, dass es eine Strategie braucht und die erarbeiteten Handlungsfelder aus dem Verfahren wurden übernommen. Wir konnten uns also direkt an die Arbeit machen und wussten, was zu tun ist.
Wie haben Sie den Prozess der Erarbeitung der Strategie erlebt?
Skyschus: Das Besondere am Verfahren war, dass durch die vielen Beteiligten so viele verschiedene Expertisen zusammenkamen und das Wissen aus allen Bereichen miteinander vernetzt werden konnte.
Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass es sicherlich auch ein nettes Gefühl war, nicht ganz alleine vor der Herausforderung zu stehen?
Druba: Was heißt “nettes Gefühl”? Wir fühlten uns getragen. Von den Gutachtern, die wir für das BYPAD-Verfahren ausgewählt hatten, die sich so toll auf die Aufgabe eingelassen haben (an dieser Stelle ein großes Danke an Frau Prahlow, Frau Willhaus und Herrn Luft), von dem positiven Feedback aus allen Reihen und der Stimmung. Diese Aufbruchsstimmung hat uns wahnsinnig getragen.
Skyschus: Ja, alle haben gemerkt: Da geht was los und es ist ernst gemeint.
Erinnern Sie sich im Laufe der Entwicklung an wichtige Entscheidungen oder Wendepunkte, die die Ausrichtung der Strategie maßgeblich beeinflusst haben?
Druba: Schnell ist klar geworden, dass auf kommunaler Ebene “Kümmerer” fehlen. Und ohne die Kümmerer würden wir die Radstrategie nicht umsetzen können. Im BYPAD-Verfahren stellten wir auch fest, dass vorhandene Förderprogramme wie das GVFG und die Förderung von Radschnellwegen kaum bekannt waren. Das war eine aufschlussreiche Erkenntnis, da Förderungen für den Straßenbau “normales Geschäft” waren. Offenbar gab es da kommunikativen Nachholbedarf.
Skyschus: … was ein Problem ist, wenn beispielsweise eine Strecke wichtig für den Radverkehr, aber nicht wichtig für den KFZ-Verkehr ist. Dann wird sich aus finanziellen Gründen oft gegen eine Sanierung des Radwegs entschieden.
Hat sich der Zeitgeist da denn geändert aus Ihrer Sicht?
Beide: Ja, auf jeden Fall, absolut, definitiv.
Druba: Beispielsweise vollzog der LBV. SH einen Paradigmenwechsel: Radwege werden nun bei jeder Straßensanierung mitsaniert, und seit einigen Jahren sogar unabhängig davon. Das war vor noch fünf Jahren anders.
Skyschus: Seit Neuestem gibt es auch die Möglichkeit, im Rahmen der Förderrichtlinie „Ab aufs Rad“ hauptamtliche Radverkehrsplanerinnen und -planer auf Kreisebene zu fördern. Damit können diese kommunalen Kümmerer eingestellt werden (siehe Kasten oben rechts, Anm. d. R.).
Druba: Wir nennen es zwar Landesstrategie, aber es ist eine Strategie für das Land. Ich glaube, deshalb hat sie auch den Regierungswechsel überstanden. Die breite Beteiligung aller Fraktionen war dabei entscheidend. Ich gebe zu, dass ich von der Idee anfänglich gar nicht so begeistert war. Im Nachhinein hat sie sich als goldrichtig erwiesen! So wurden die ambitionierten Kernideen, die aus dem Beteiligungsprozess kamen, von allen mitgetragen. Sogar unsere Hausleitung sagte: ‚Ehrgeizige Ziele? Finde ich gut. Wir versuchen es, auch wenn wir sie vielleicht nicht erreichen.‘ Diese Ziele haben uns angespornt, mehr zu tun.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dann im Prozess?
Druba: Das Bundesförderprogramm “Stadt und Land” kam über uns (beide lachen). Wir hatten kaum Ressourcen und mussten viele Felder bespielen. So waren z. B. eine Vereinbarung mit dem Bund zu schließen, eine Förderrichtlinie aufzustellen und Anträge zu bearbeiten, um nicht Mittel zu verlieren. Ohne unsere Kollegin Frau Böttcher hätten wir das nicht geschafft. Das wenige Personal war wirklich die größte Herausforderung. Frau Böttcher und Herr Koch, der sich u.a. um den Runden Tisch Radverkehr kümmerte, kamen im August 2021 zum Team.
Skyschus: Und dann kam auch noch Corona. Was bedeutet: Lange Videokonferenzen, zwei kleine Kinder zuhause … Das war tatsächlich auch persönlich eine intensive Zeit.
Was waren für Sie persönlich die wichtigsten oder prägendsten Momente im Entstehungsprozess?
Skyschus: Dass Radverkehrsförderung eine Gemeinschaftsleistung ist. Manche mögen vielleicht sagen: “Das Geld ist doch vom Bund.” oder “Das hat die Kommune gemacht.” Aber jede und jeder ist in diesem Prozess wichtig. Der ADFC, der sich einsetzt, das Land, das mit der Förderrichtlinie das Geld zu den Kommunen bringt und die Kommune, weil sie den Antrag stellen muss und die Umsetzung der Maßnahmen vornimmt.
Welche Aspekte der Radstrategie 2030 sehen Sie aus heutiger Sicht als besonders innovativ oder zukunftsweisend an?
Druba: Zum einen, dass sie so ambitioniert ist und der partizipative Ansatz der Entwicklung, der sich bis heute z.B. im Runden Tisch und seinen verschiedenen Arbeitsgruppen durchzieht. Inhaltlich würde ich auch das Radinformationssystem nennen, da sitzen wir gerade dran. Eine ganze Arbeitskraft widmet sich diesem Handlungsfeld. Das ist auch richtig so, denn das ist zukunftsweisend.
Apropos Zukunft: Wie geht es nun auf der Arbeitsebene weiter, was sind die Next Steps?
Druba: Wir konzentrieren uns jetzt auf die Evaluation der Strategie: Sind die Ziele und Maßnahmen noch passend? Wo müssen wir Schwerpunkte neu setzen? Parallel arbeiten wir am Radinformationssystem und starten die Kommunikationsoffensive. Die Infrastruktur haben wir bereits angepackt, da sie grundlegend ist.
Wenn Sie auf den gesamten Entstehungsprozess zurückblicken, gibt es etwas, das Sie heute anders angehen würden?
Beide: Nein, eigentlich nicht. Wir sind mit der Radstrategie sehr zufrieden, obwohl die Corona-Pandemie den persönlichen Austausch erschwert hat. Die ‚Feldarbeit‘ fehlte, was die Einbindung kommunaler Akteure beeinträchtigte. Andererseits sparte es Zeit. Sicherlich hätten wir Dinge anders machen können, aber ob es besser geworden wäre, bleibt unbeantwortet. Vielleicht müssen das auch andere beurteilen.
Vielen Dank für das Gespräch!