Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

Fahrradampel

Fahrradampel © AdobeStock | laurent dambies

Im Interview zur neuen StVO: Dr. Janna Ringena

Wie lässt sich die neue StVO jetzt vor Ort für die Verkehrswende nutzen? Wir haben mit Dr. Janna Ringena, Verkehrsrechtlerin in der Kanzlei BBG und Partner, zur Novellierung des Straßenverkehrsrechts gesprochen.

2024 hat der Gesetzgeber neue Ziele in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) aufgenommen. Am 21.03.2025 hat die Novelle der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO, der VwV-StVO, die Zustimmung des Bundesrats gefunden und am 04.04.2025 ist sie in Kraft getreten. 

ADFC SH: Die neuen Gestaltungsmöglichkeiten in der StVO und der dazugehörigen Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) bezeichnen Sie als „Paradigmenwechsel vom Gefahrenabwehr- zum Gestaltungsrecht der Kommunen“. Was meinen Sie damit?

Dr. Ringena: Wenn vor der Novellierung die Straßenverkehrsbehörde in einer Kommune gestalten wollte, musste immer eine Gefahrenprüfung stattfinden – bevor also irgendein Verkehrszeichen verändert bzw. angeordnet werden konnte, war immer eine Prüfung der Gefahr und des Einflusses auf die „Leichtigkeit des Verkehrs“ notwendig. Bei Einschränkung des Kfz-Verkehrs war eine „gesteigerte Gefahrenlage“ vonnöten,  resultierend aus besonderen örtlichen Verhältnissen. Daraus resultierten hohe Anforderungen an kleine Veränderungen. Das kommt aus den 1990er-Jahren, als geringere Standards für Veränderungen in der Beschilderung existierten und die Anzahl der Schilder daraufhin so zunahm, dass sie vermehrt eher irritierend wirkten. Aufgrund dieser Regelungen waren die Kommunen aber auch sehr an eine autofreundliche Planung gebunden, da die Begründung einer „Gefahr”, beispielsweise zur Einrichtung einer Fahrradstraße, eines hohen Aufwands bedurfte. Nun wurde durch die Novelle in § 45 Abs. 1 Satz 2 Nummer 7 eingeführt, dass Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr bereitgestellt und Bussonderfahrstreifen eingerichtet werden können, wenn sie dem Umwelt- und/oder Gesundheitsschutz sowie der städtebaulichen Entwicklung – die ein Leitbild für das Verkehrswesen innerhalb einer Kommune meint – dienlich sind. Und zwar ohne dass eine Gefahrenprüfung durchgeführt werden muss und auch dann, wenn die „Leichtigkeit des Verkehrs“ zulasten der Kfz-Fahrenden gegebenenfalls eingeschränkt wird. Die Anforderungen wurden damit gesenkt. Laut der Ende März beschlossenen Verwaltungsvorschrift zur StVO reicht es für das Ziel des Gesundheitsschutzes beispielsweise aus, dass die Anordnung einer Fahrradstraße einen Anreiz für mehr Bewegung setzt. Das war vorher so nicht möglich.

ADFC SH: Richtig, mit der Änderung der VwV-StVO sollen Anordnungen auch zur Verbesserung des Umweltschutzes erlassen werden, ohne dass eine Gefahr vorliegt. Wie wird denn die „Verbesserung des Umweltschutzes“ überprüft und welche Rolle spielen dabei die bisherigen Kriterien - bspw. die “Leichtigkeit des Verkehrs”?

Dr. Ringena: Die Leichtigkeit des Verkehrs muss weiterhin berücksichtigt werden, das heißt, die Interessen der Autofahrenden dürfen gleichermaßen nicht aus dem Sichtfeld verschwinden. Am besten wird im erstellten Verkehrsplan der Kommune deutlich, wie die Veränderungen in der Kommune verlaufen sollen. Zusätzlich werden für kurze Zeiträume Verkehrszählungen durchgeführt. Die müssen aber nicht mehr jahrelang dauern. Die Notwendigkeit des Nachweises der Gefahrenlage fällt wie gesagt weg und die positiven Effekte der Verkehrsverlagerung hin zum Fahrrad lassen sich einfach begründen, sodass neue Maßnahmen leichter beschlossen werden können. Die Maßnahme an sich darf aber keine neue Gefahr verursachen. Erklärt an einem Beispiel wäre das so: Wenn Straße A zur Fahrradstraße wird und dadurch vermehrt Kfz-Verkehr über Straße B läuft, die aber von besonders vielen Fußgänger*innen gekreuzt wird, die nun einer höheren Gefahr ausgesetzt sind, ist das schwierig durchzusetzen. Die Gefahr im Nachgang der Veränderung ist also die äußere Grenze der Veränderung selbst. Insgesamt wurden die Anforderungen unseres Erachtens nach aber gesenkt. Zudem muss beachtet werden, dass in diesem Szenario zwar die Luftqualität in Straße A steigt, in Straße B aber wohl sinken würde, sodass in der Gesamtbetrachtung aller Auswirkungen eine Anordnung mit dem Argument des Gesundheitsschutzes beispielsweise ohnehin schwierig wäre. Einige Erhebungen und genaue Überlegungen zu den Plänen bleiben jedoch notwendig, was eine Zusammenarbeit der Kommunen mit Stadt- und Mobilitätsplaner*innen weiterhin sinnvoll macht. Aber die Verwaltungsvorschriften machen eben neuerdings besonders deutlich, dass zum Beispiel langwierige Verkehrszählungen nicht notwendig sind, sodass innerhalb eines Jahres die Umsetzung einer neuen Maßnahme nach der neuen StVO als realistisch bezeichnet werden kann. Die Auswirkungen dieser Veränderung des Status der Leichtigkeit des Verkehrs in den Prüfungen vor Maßnahmen sind abhängig von den jeweiligen Projekten. Grundsätzlich meint „Berücksichtigung“ aber nicht, dass - wie es vorher der Fall war - die Leichtigkeit des Verkehrs uneingeschränkt priorisiert werden muss. Nachteile dahingehend können also für Autofahrende hinzunehmen sein.

ADFC SH: Das eröffnet ja neue Möglichkeiten, den öffentlichen Raum für den fließenden und ruhenden Fuß- und Radverkehr zu nutzen. Ist nun zu erwarten, dass vermehrt Parkplatzflächen des Kfz-Verkehrs für andere Nutzungszwecke umgewidmet werden, um auch dem Problem der ungleichen Flächenverteilung zu begegnen?

Dr. Ringena: Angemessene Flächen dürfen für den Fahrrad- und Fußverkehr neu ausgewiesen werden. Das können auch Flächen auf Parkplätzen sein. Allerdings ist hier eine spezifische Umwidmung im Straßenverkehrsrecht nicht möglich, da diese eine sogenannte „Einziehung“ nach dem Straßenrecht erfordert. Parkflächen sind also ein schwieriger Grenzfall, der eher gemieden werden sollte - besser wäre es, Straßen, die ohnehin für Verkehr gedacht sind, für eine Umverteilung der Fläche heranzuziehen.

ADFC SH: In vielen Gemeinden und Städten arbeiten Vereine wie der ADFC, aber auch lokale Initiativen, daran, die Verkehrsplanung ihrer Kommune progressiv voranzubringen. Haben diese Akteure jetzt durch die VwV-StVO mehr Handhabe für die „Mobilitätswende von unten“?

Dr. Ringena: Als solche Gruppe kann man gut versuchen, die jeweiligen Interessen im Rat durchzusetzen und durch Gespräche die jeweiligen Ratsmitglieder zu überzeugen. Sobald ein Ratsbeschluss mit einem Verkehrsplan vorliegt, der dann auch zum Beispiel die Errichtung von Fahrradstraßen beinhaltet, können die Straßenverkehrsbehörden im Prinzip nicht mehr „nein“ sagen, da ein demokratisch legitimiertes Kollektivorgan einen Planungsbeschluss gefasst hat. Der Begründungsaufwand für die zuständige Straßenverkehrsbehörde, die letzten Endes für die Umsetzung zuständig ist, muss dann schon erheblich sein, um den Plan nicht umzusetzen, wenn alle Kriterien wie „Leichtigkeit” und „Gefahrensituation” berücksichtigt wurden. Von daher bestehen für den ADFC nun durchaus mehr Möglichkeiten zur Beeinflussung einer progressiven Mobilitätspolitik in den Kommunen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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