
Kurze Reparaturzeiten sind eine Seltenheit © Unsplash / Anton Savinov
Warten aufs Rad: Werkstätten am Limit
Wer sein Fahrrad liebt, bringt es regelmäßig zur Wartung. Doch wer in der letzten Zeit versucht hat, einen Termin in der Fahrradwerkstatt zu bekommen, kennt das Problem: Lange Wartezeiten sind die Regel. Doch woran liegt das eigentlich?
Nur wer sich darauf verlassen kann, dass das Fahrrad auch zügig repariert wird, entscheidet sich für einen langfristigen Umstieg. Fehlende Werkstattkapazitäten sind ein echter Hemmschuh für die Mobilitätswende. Vor allem vergangenes Frühjahr schien sich das Problem zugespitzt zu haben. NDR & Co. berichteten über lange Wartezeiten und fehlende Werkstatttermine. “Wer sein Fahrrad im März zur Inspektion bringt, hatte allerdings schon immer ein Problem”, weiß Frank Lamberty, Inhaber von Fahrrad Lamberty aus dem schleswig-holsteinischen Wilster. Doch wie kommt dieser Andrang zustande?
Zum Einen fahren die Menschen in der wärmeren Jahreshälfte mehr Fahrrad. Zum Anderen haben E-Bikes in den letzten Jahren zahlenmäßig zugelegt. Das beobachtet auch Lamberty: “90 % des Werkstattbereichs ist E-Bike. Das wird im ländlichen Raum einfach häufiger gefahren und ist nicht so gut zum selbst reparieren”, so Lamberty, der noch am Motorrad ausgebildet wurde, aber seit 1976 in der Fahrradbranche tätig ist.
E-Bikes als „Brandbeschleuniger“: Komplexere Technik fordert die Werkstätten heraus
Genau dort liege auch das Problem, führt Lamberty weiter aus: “E-Bikes sind sehr kompliziert bei der Reparatur - und die Werkstätten noch längst nicht darauf ausgelegt.” Verständlich, sind E-Bikes doch in Teilen anspruchsvoller zu reparieren. “Verschiedene Hersteller haben durch die verschiedenen Systeme auch ganz unterschiedliche Anforderungen. Alle haben eine eigene Software, eine eigene Technik, spezielle Motoren, Akkus und mehr.” Und wenn die Werkstatt dann doch darauf ausgerichtet ist, scheitert eine zügige Reparatur oft an langen Wartezeiten auf Ersatzteile. “Die Hersteller haben vieles nicht auf Lager”, so Lamberty.
Die Zahlen des Handelsverband Zweirad (VDZ) bestätigen den Eindruck der Verbraucher*innen. So stieg die Nachfrage nach Werkstattleistungen 2024 gegenüber dem Vorjahr deutlich. Die Umsätze mit Inspektionen oder Wartungen nehmen stetig zu. Die Umsatzveränderung im Werkstattbereich in 2024 war gegenüber 2023 zwischen zehn und zwölf Prozent höher.
Die Mobilitätswende in Gefahr? Fehlende Werkstattkapazitäten als Hemmnis
Dass das Probleme für die Verbraucher*innen - und damit auch die gewünschte Mobilitätswende mit sich bringt, liegt auf der Hand, weiß auch Stephanie Meyer, Vorsitzende des ADFC Schleswig-Holstein e.V.: „Radfahren gehört zu Schleswig-Holstein, sei es auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit, nach Feierabend oder im Urlaub. Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis Ende des Jahrzehnts 30 Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Dafür brauchen wir nicht nur mehr und bessere Radwege, sondern auch ausreichend und gut qualifiziertes Fachpersonal, das die vielen Fahrräder repariert – und das innerhalb weniger Tage und nicht mehrerer Wochen.“ Die Lage in den Werkstätten verschärft sich in der Tat zusätzlich durch den Fachkräftemangel, der ein weiteres drängendes Problem ist. Die Studie der Fachhochschule Kiel im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein (Februar 2024) hat deutlich gemacht, dass bis 2035 mit einer Lücke von mindestens 325.000 Fachkräften in Schleswig-Holstein zu rechnen ist, davon allein ca. 200.000 mit einer abgeschlossenen Dualen Ausbildung. Nach aktuellen Hochrechnungen des VSF (Verbund Service und Fahrrad) fehlen der Branche bundesweit rund 18.000 Fachkräfte.
„Fachkräfte wachsen nicht auf Bäumen“, weiß auch Werkstattinhaber Lamberty. „Die Ausbildung ist anspruchsvoll, sie dauert, in der Saison sind es lange Arbeitszeiten. Trotz gutem Gehalt und toller Zukunftsperspektiven gibt es wenig Bewerber*innen”. Unter anderem mag das auch daran liegen, dass die Berufsschulen oft weit weg sind. Bis vor Kurzem gab es für Auszubildende nur die Schule in Hamburg-Bergedorf. Erst seit circa zwei Jahren werden Zweiradmechatroniker*innen teils auch in Husum unterrichtet. “Fahr mal als Jugendlicher mit den Öffentlichen von Wilster jeden Tag nach Hamburg-Bergedorf oder nach Husum”, so Lamberty.
Die Ergebnisse einer Kleinen Anfrage des SPD-Abgeordneten Niclas Dürbrook in 2024 verdeutlichen dieses Problem: Trotz zum Teil vieler Ausbildungsbetriebe werden in allen Kreisen zu wenige bis gar keine neuen Zweiradmechatroniker*innen ausgebildet.
Lange Schulwege machen Ausbildung unattraktiv, Land ohne Lösung
Die Antwort des Bildungsministeriums auf die Anfrage von Dürbrook zeigt deutlich, dass es ausreichend Ausbildungsbetriebe
gäbe, auch wenn diese regional ungleich verteilt seien. Kreise wie Nordfriesland hätten zwölf Betriebe und Rendsburg-Eckernförde 14 Betriebe, die zur Ausbildung berechtigt seien. Während es in den Kreisfreien Städten Flensburg, Kiel und Lübeck lediglich jeweils fünf bis sechs Betriebe sind, ist Neumünster eine unrühmliche Ausnahme mit nur einem Betrieb. Spitzenreiter mit 21 ausbildungsberechtigten Betrieben ist jedoch der Kreis Schleswig-Flensburg.
Im Kreis Schleswig-Flensburg mit 21 Ausbildungsbetrieben gibt es aktuell in den Jahrgängen 2023/2024 und 2024/2025 lediglich zwei Auszubildende zur Zweiradmechatroniker*in. Auch in Flensburg und im Kreis Steinburg gibt es jeweils nur eine Auszubildende und in Dithmarschen gar keine Auszubildenden.
“Das sind sehr beunruhigende Zahlen und ein fatales Signal. Denn die meisten Auszubildenden bleiben nach ihrem Abschluss in der Region. Und es werden sich, besonders im nördlichen Landesteil, weiterhin nur wenige Menschen für eine Ausbildung zur Zweiradmechatroniker*in oder Fahrradmonteur*in begeistern lassen, wenn klar ist, dass der schulische Teil über mehrere Wochen im weit entfernten Hamburg oder Husum stattfindet”, so Meyer.
Über Jahre wurden Zweiradmechatroniker*innen in Hamburg-Bergedorf beschult. Seit August 2021 gibt es mit der Berufsschule Husum einen zweiten schulischen Ausbildungsstandort. “Zur Zeit sind wir die einzige Berufsschule in Schleswig-Holstein, die den Bildungsgang Zweiradmechatroniker Fachrichtung Fahrradtechnik anbietet”, so Volker Hansen, Abteilungsleiter Metalltechnik und Fahrzeugtechnik der BS Husum. “Insgesamt haben hier seitdem 24 Auszubildende ihren Abschluss gemacht.” Die Ausbildung wird derzeit auch jedes Jahr angeboten. Aufgrund der geringen Schülerzahlen könnte sich das laut Hansen aber irgendwann auch wieder ändern. Um den Bildungsgang anbieten zu können, ist nämlich eine Klassenstärke von 19 Schüler*innen Voraussetzung.
Gescheiterte Pläne für einen neuen Schulstandort
An dieser Hürde scheint auch die RBZ Walther-Lehmkuhl-Schule in Neumünster zu scheitern. Seit letztem Jahr versuchen sie, die Genehmigung für die Beschulung der Zweiradmechatroniker*innen zu erhalten. Der Antrag wurde bislang vom Schleswig-Holsteinischen Institut für Berufliche Bildung (SHIBB) aufgrund der geringen zu erwartenden Ausbildungszahlen abgelehnt. “Die Zahlen sind so schlecht, dass wir unter den derzeitigen Bedingungen - sowieso nicht, wo das Geld ja sehr knapp ist - in gar keinem Fall in Erwägung ziehen, an der Walter-Lehmkuhl-Schule einen weiteren Standort für diesen Ausbildungsberuf einzurichten. Die Gesamtzahl aller Ausbildungsjahre würde vielleicht gerade einmal die Klassenstärke erreichen, die gefordert ist, d.h. wir sind ganz weit weg davon”, so Katja Focke-Konow von der für Neumünster zuständigen Schulaufsicht des SHIBB zum Vorhaben des RBZ in Neumünster. Sollte sich der Ausbildungsmarkt positiv entwickeln, würde das SHIBB die Einrichtung einer Landesberufsschule allerdings erwägen. Grundlage dafür sei eine verlässliche Zahl an Ausbildungsverträgen. Tatsächlich verzeichnet der Ausbildungsberuf laut BIBB-Report deutschlandweit aber einen Verlust von 10,9 Prozent (2023-2024). Allgemein haben Ausbildungsberufe in Schleswig-Holstein derzeit einen schlechten Stand. Es gibt zwar mehr Ausbildungsinteressierte als Ausbildungsplätze angeboten werden, allerdings kommt es in nur 66,5 % zu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Die Tendenz seit 2015 ebenfalls: Rückläufig. Seit 2015 ist der Anteil der unbesetzten Stellen von 5,9 auf über 15 % gestiegen. Ein Rekordhoch.
“Hier muss die Landesregierung dringend gegensteuern und Lösungen und Angebote schaffen. Es zeigt sich, dass die bisherigen Angebote nicht mehr zeitgemäß sind. Es gilt aber zu klären, was Betriebe, Wirtschaft und Politik gemeinsam unternehmen können und müssen, damit sich junge Menschen in den nächsten Jahren vermehrt für diese spannenden und zukunftsträchtigen Ausbildungsberufe entscheiden. Deshalb braucht es jetzt direkte Gespräche von der Politik mit den Ausbildungsbetrieben und den Kammern! Dass die Landesregierung hier lediglich die Rolle der Beobachterin einnimmt, wird keine Besserung und Lösung bringen“, so Meyers Appell an die Landesregierung.
Engagement in Neumünster zeigt Wirkung
Ein Beispiel aus Neumünster zeigt, dass sich durch Engagement vielleicht doch etwas bewegen lässt. Das zuständige Schleswig-Holsteinische Institut für Berufliche Bildung (SHIBB) wollte die Beschulung Industriemechaniker*innen im Rahmen des Masterplans Berufliche Bildung ab dem zweiten Ausbildungsjahr nach Rendsburg verlegen. Die Neumünsteraner Betriebe befürchteten, durch die Pläne des SHIBB künftig Probleme zu bekommen, neue Industriemechaniker*innen zu finden. Der Grund? Aufgrund der langen Schulwege würden sich Interessierte dann doch für eine andere Ausbildung entscheiden. Daraufhin formulierten die Unternehmen, die Stadt und die Schule einen “Letter of Intent”, in dem sie zusagten, mindestens 20 Industriemechaniker*innen im Jahr auszubilden und so die Anforderungen des SHIBB an die Mindestanzahl der Klassenstärke zu erfüllen. “Organisieren Sie sich, gemeinsam, über Innungen, Verbände oder sprechen Sie die Kammern an”, empfiehlt Meyer den Fahrradhändler*innen und Werkstätten und das Problem so auch selbst in die Hand zu nehmen.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, arbeitet der VSF (Verbund Service und
Fahrrad) aktuell an einer berufsbegleitenden Qualifizierung speziell für Quereinsteiger*innen im Werkstattbereich des Fachhandels. Die Konzeption dieser Ausbildung soll bis Ende 2025 abgeschlossen sein mit dem Ziel, ab 2026 einen ersten regulären Durchgang anbieten zu können.
Einer, der keine Probleme mit dem Fachkräftemangel hat, ist der Fahrradhersteller Norwid aus Elmshorn. “Das liegt auch
daran, dass wir so nah an der Berufsschule sind”, erklärt Inhaber Rudolph Pallesen. Bei Norwid wurde im letzten Jahr relativ viel eingestellt, wobei auch Quereinsteiger*innen beschäftigt werden. „Die Spezialisierung in unserem Bereich ist extrem hoch.
Damit gibt es für uns eh nirgendwo ‚fertige’ Fachkräfte.”
Das bedeutet für Norwid, dass neben Aus-zubildenden auch Gesellen weitergebildet werden müssen. „Das war in der Summe
recht anstrengend und nicht sofort gewinnbringend“, räumt der Geschäftsführer ein. „Aber wenn man die Begeisterung hat, dann ist man gut aufgehoben und der Rest wird beigebracht. Ich halte es da mit Antoine de Saint-Exupéry: ‚Wenn du ein
Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit
einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen Meer.’”