Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

Der Radweg an der L 42/44 heute und früher © Ellen Pahling & Jan Voß / ADFC SH

Kein Radweg, viele Fragezeichen - ein freudiges Update

Tatsache ist, Radverkehrsförderung ist eine zähe Angelegenheit. Viel zu häufig zeigt sich: Selbst wo ein Wille ist, gibt es häufig trotzdem keinen (Rad)Weg. Woran das liegt? Das haben wir versucht herauszufinden.

Update von 12/24:

Unser Ministerpräsident Daniel Günther hat sein Versprechen gehalten. Endlich ist er fertig, der Radweg an der L 42/44 zwischen den Gemeinden Sehestedt, Haby und Holtsee und damit ist auch endlich Schluss mit den Umleitungen in Richtung Eckernförde. Der Weg ist teilweise sehr schmal und der Begegnungsverkehr somit schwierig. Ein schmaler Weg ist besser und sicherer, als auf der Straße zu fahren. Wir müssen nur aufeinander aufpassen - denn schall dat al gahn. Vor allem die Sehestedter*innen freuen sich. Jetzt fehlt noch das Teilstück zwischen Sehestedt und Schirnau, aber pssst… es wurden schon Landvermesser*innen mit einem Messrad auf dem Radweg gesehen.

So war die Situation zuvor (Stand 08/24):

Im ganzen Land fehlen Radwege. Sie werden gewünscht, gefordert und von der Politik versprochen - doch sie kommen nicht. So beispielsweise zwischen den Gemeinden Sehestedt und Holtsee bei Eckernförde. Der einstige Radweg entlang der Landesstraße L 42/44, die Eckernförde und Rendsburg verbindet, ist nur noch eine schmale, holprige Linie, von beiden Seiten mit Gras zugewachsen. Vor 17 Jahren wurde er bereits wegen seiner zu geringen Breite entwidmet und Radfahrer*innen, die von Sehestedt nach Holtsee unterwegs sind, dürfen seitdem auf der Straße fahren. Seit längerem setzen sich Bürger*innen und Lokalpolitiker*innen dafür ein, dass der Radweg saniert wird (wir berichteten: Pett Man Sülm #2/2022). Doch bisher blieben alle Bemühungen erfolglos. Ein ähnliches Bild in der Gemeinde Sommerland im Kreis Steinburg: Die Sommerländer*innen würden sehr gerne auch mit dem Fahrrad ins nächstgelegene Herzhorn fahren. Das geht zurzeit aber nur auf der vielbefahrenen Landesstraße L 168. Einen Radweg gibt es bislang nicht - und trotz Demonstrationen in den letzten Jahren und diverser Anfragen der Sommerländer*innen beim Land bleibt es wohl auch erstmal dabei.

Doch woran liegt das? Laut eines Berichts der sh:z vom 21.04.2022 zum entwidmeten Radweg an der L 42/44 wird der Radweg nicht saniert, weil er nur zum “Netz 2” gehört - und damit keine ausreichende Verkehrsbedeutung aufweist.

 

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welcher Radweg gebaut wird?

 

Ob es tatsächlich so eine Einteilung gibt, nach der entschieden wird, welche Radwege gebaut oder saniert werden? Das wollten wir vom Land Schleswig-Holstein wissen und haben beim Verkehrsministerium nachgefragt. Wir erfahren, dass die Strategie zur Entwicklung der Landesstraßen 2019 - 2030 eine Sanierung des gesamten Landesstraßennetzes vorsieht - und das tatsächlich auch unabhängig von der Verkehrsbedeutung. Doch im gleichen Atemzug teilt uns das Ministerium auch mit, dass die Grundlage für den Radwegebau und dessen Erhaltung das sogenannte Landesweite Radverkehrsnetz (LRVN) ist. Und dass “alle beantragten Radwegverbindungen aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel hinsichtlich der Kriterien Netzbedeutung, Verkehrssicherheit und Radtourismus entsprechend den Zielen der Radstrategie Schleswig-Holstein 2030 bewertet werden.”

 

Ist ein zu schmaler Radweg schlechter, als auf der Straße zu fahren?

 

Die Sehestedter*innen können also nur hoffen, dass die Landstraße irgendwann saniert wird - und der Radweg dann mit. Falls dann nicht direkt das nächste Problem wartet - denn auch bei der eventuellen Verbreiterung des Weges sieht das Ministerium Probleme aufgrund von Naturschutz und “Inanspruchnahme von Anliegergrundstücken”. Allerdings hat Schleswig-Holstein keine eigenen Standards für den Neubau, die Sanierung oder Instandsetzung von Radwegen. An dieser Stelle muss zudem gefragt werden: Ist ein zu schmaler Radweg schlechter, als auf der Straße zu fahren? Und weshalb verweigert sich das Ministerium der “Inanspruchnahme von Anliegergrundstücken” (bekannt auch als “Enteignung”, Anm. d. Red.), wenn man vor diesem Instrument beim Bau von Umgehungsstraßen nicht zurückschreckt?

Aber versuchen wir es auf einem anderen Wege: Könnte man Radwege auch unabhängig von einer Fahrbahnsanierung instand setzen? Auch hier lautet die Antwort leider, „nein“. Denn obwohl der neue Koalitionsvertrag explizit 20 Millionen Euro für die unabhängige Sanierung von Radwegen an Landesstraßen vorsieht, wird das Ministerium auch in Zukunft grundsätzlich an der fahrbahnbegleitenden Sanierung festhalten. “Aus Effizienzgründen”, heißt es. Es sei denn, ein Streckenabschnitt besitzt eine “herausgehobene Bedeutung im Landesweiten Radverkehrsnetz” (LRVN). Ist das die Chance für die Sehestedter*innen und Holtseer*innen? Nein. In der Auswertung ergab sich “in Relation zu anderen potenziellen Radwegemaßnah-men” einfach “keine ausreichende Priorität”.

 

Straßenunabhängige Fahrbahnsanierung: Ist das die Chance für die Sehestedter*innen und Holtseer*innen?

 

Auch für die Sommerländer*innen sieht es nicht besser aus, denn die Auswertung der Verbindung entlang der L 168 zwischen Dückermühle und Herzhorn ergab das gleiche Ergebnis. Auch auf die Frage des Herzhorner Bürgermeisters Wolfgang Glißmann (NDR Bericht vom 08.11.2021) nach einem Radweg verwies das Ministerium auf das Landesweite Radverkehrsnetz und dass die Verbindung in diesem “weder als Wunschlinie für den Alltagsverkehr noch für den Freizeitverkehr” ausgewiesen sei. Doch nach welchen Kriterien wird eigentlich entschieden, welche Wege als “Wunschlinien für den Alltagsverkehr oder Freizeitverkehr” gelten? Dazu schreibt das Ministerium uns, dass “im Grundsatz der Bedarf erkennbar sein müsse.” Bürger*innen, die mit dem Rad sicher von A nach B kommen wollen, und dies bei mehreren Demonstrationen und mit verschiedenen Aktionen deutlich zum Ausdruck gebracht haben, scheinen wohl nicht als “Grundbedarf” zu gelten. Wie der Bedarf nachgewiesen werden muss, darauf bleibt das Ministerium eine verständliche Antwort schuldig.

Und wie war das mit dem Kriterium der Verkehrssicherheit für die Entscheidung, ob eine Radverbindung ausreichende Priorität hat oder nicht? Ebenfalls kein Grund, da die Strecke in den vergangenen Jahren nicht “unfallau-fällig” war.

 

Natürlich stellt sich da die Frage, ob es keine Unfälle gibt, weil es nicht

gefährlich ist - oder weil dort keiner Rad fährt, weil es zu gefährlich ist.

 

Könnte man denn wenigstens das Tempo reduzieren? Leider ist das auch nur bei statistischen Unfallschwerpunkten grundsätzlich möglich. Hier ist die Bundesregierung gefordert, die StVO und das StVG entsprechend anzupassen. In der Zwischenzeit könnten aber Straßenverkehrsbehörden und Verantwortliche auf allen Ebenen die bestehende StVO möglichst fahrradfreundlich auslegen.

Einen kleinen Lichtblick gibt es allerdings: Um die Handlungsbedarfe im Radwegenetz besser aufzuzeigen, hat das Ministerium eine flächendeckende Zustandserfassung der Radwege an den Landesstraßen in Schleswig-Holstein veranlasst. Auf Basis der Ergebnisse soll eine bessere Prioritätenreihung aller Maßnahmen möglich sein. Allerdings läßt die jetzt gestartete Fortschreibung des LRVN, in der Kreise und Kommunen befragt und Radverkehrskonzepte berücksichtigt werden sollen, auf eine Neubewertung hoffen.

Bei einer Abfrage des Ministeriums (Herbst 2020) der prioritären Projekte in den Kreisen, die in die Fortschreibung des LRVN eingebunden werden, hat allerding der Kreis Steinburg den Radweg an der L 168 nicht als prioritär benannt.

Nach unseren Recherchen und den Antworten des Ministeriums haben wir eigentlich noch mehr Fragen als vorher. Letztendlich bleibt festzustellen: Selbst wo ein Wille ist, ist oft kein (Rad)Weg.

Fenja Simon und Jan Voß

 

 

 

 

 

 

 

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