Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

Kein Radweg, viele Fragezeichen

Tatsache ist, Radverkehrsförderung ist eine zähe Angelegenheit. Viel zu häufig zeigt sich: Selbst wo ein Wille ist, gibt es häufig trotzdem keinen (Rad)Weg. Woran das liegt? Das haben wir versucht herauszufinden.

Im ganzen Land fehlen Radwege. Sie werden gewünscht, gefordert und von der Politik versprochen - doch sie kommen nicht. So beispielsweise zwischen den Gemeinden Sehestedt und Holtsee bei Eckernförde. Der einstige Radweg entlang der Landesstraße L 42/44, die Eckernförde und Rendsburg verbindet, ist nur noch eine schmale, holprige Linie, von beiden Seiten mit Gras zugewachsen. Vor 17 Jahren wurde er bereits wegen seiner zu geringen Breite entwidmet und Radfahrer*innen, die von Sehestedt nach Holtsee unterwegs sind, dürfen seitdem auf der Straße fahren. Seit längerem setzen sich Bürger*innen und Lokalpolitiker*innen dafür ein, dass der Radweg saniert wird (wir berichteten: Pett Man Sülm #2/2022). Doch bisher blieben alle Bemühungen erfolglos. Ein ähnliches Bild in der Gemeinde Sommerland im Kreis Steinburg: Die Sommerländer*innen würden sehr gerne auch mit dem Fahrrad ins nächstgelegene Herzhorn fahren. Das geht zurzeit aber nur auf der vielbefahrenen Landesstraße L 168. Einen Radweg gibt es bislang nicht - und trotz Demonstrationen in den letzten Jahren und diverser Anfragen der Sommerländer*innen beim Land bleibt es wohl auch erstmal dabei.

Doch woran liegt das? Laut eines Berichts der sh:z vom 21.04.2022 zum entwidmeten Radweg an der L 42/44 wird der Radweg nicht saniert, weil er nur zum “Netz 2” gehört - und damit keine ausreichende Verkehrsbedeutung aufweist.

 

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welcher Radweg gebaut wird?

 

Ob es tatsächlich so eine Einteilung gibt, nach der entschieden wird, welche Radwege gebaut oder saniert werden? Das wollten wir vom Land Schleswig-Holstein wissen und haben beim Verkehrsministerium nachgefragt. Wir erfahren, dass die Strategie zur Entwicklung der Landesstraßen 2019 - 2030 eine Sanierung des gesamten Landesstraßennetzes vorsieht - und das tatsächlich auch unabhängig von der Verkehrsbedeutung. Doch im gleichen Atemzug teilt uns das Ministerium auch mit, dass die Grundlage für den Radwegebau und dessen Erhaltung das sogenannte Landesweite Radverkehrsnetz (LRVN) ist. Und dass “alle beantragten Radwegverbindungen aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel hinsichtlich der Kriterien Netzbedeutung, Verkehrssicherheit und Radtourismus entsprechend den Zielen der Radstrategie Schleswig-Holstein 2030 bewertet werden.”

 

Ist ein zu schmaler Radweg schlechter, als auf der Straße zu fahren?

 

Die Sehestedter*innen können also nur hoffen, dass die Landstraße irgendwann saniert wird - und der Radweg dann mit. Falls dann nicht direkt das nächste Problem wartet - denn auch bei der eventuellen Verbreiterung des Weges sieht das Ministerium Probleme aufgrund von Naturschutz und “Inanspruchnahme von Anliegergrundstücken”. Allerdings hat Schleswig-Holstein keine eigenen Standards für den Neubau, die Sanierung oder Instandsetzung von Radwegen. An dieser Stelle muss zudem gefragt werden: Ist ein zu schmaler Radweg schlechter, als auf der Straße zu fahren? Und weshalb verweigert sich das Ministerium der “Inanspruchnahme von Anliegergrundstücken” (bekannt auch als “Enteignung”, Anm. d. Red.), wenn man vor diesem Instrument beim Bau von Umgehungsstraßen nicht zurückschreckt?

Aber versuchen wir es auf einem anderen Wege: Könnte man Radwege auch unabhängig von einer Fahrbahnsanierung instand setzen? Auch hier lautet die Antwort leider, „nein“. Denn obwohl der neue Koalitionsvertrag explizit 20 Millionen Euro für die unabhängige Sanierung von Radwegen an Landesstraßen vorsieht, wird das Ministerium auch in Zukunft grundsätzlich an der fahrbahnbegleitenden Sanierung festhalten. “Aus Effizienzgründen”, heißt es. Es sei denn, ein Streckenabschnitt besitzt eine “herausgehobene Bedeutung im Landesweiten Radverkehrsnetz” (LRVN). Ist das die Chance für die Sehestedter*innen und Holtseer*innen? Nein. In der Auswertung ergab sich “in Relation zu anderen potenziellen Radwegemaßnah-men” einfach “keine ausreichende Priorität”.

 

Straßenunabhängige Fahrbahnsanierung: Ist das die Chance für die Sehestedter*innen und Holtseer*innen?

 

Auch für die Sommerländer*innen sieht es nicht besser aus, denn die Auswertung der Verbindung entlang der L 168 zwischen Dückermühle und Herzhorn ergab das gleiche Ergebnis. Auch auf die Frage des Herzhorner Bürgermeisters Wolfgang Glißmann (NDR Bericht vom 08.11.2021) nach einem Radweg verwies das Ministerium auf das Landesweite Radverkehrsnetz und dass die Verbindung in diesem “weder als Wunschlinie für den Alltagsverkehr noch für den Freizeitverkehr” ausgewiesen sei. Doch nach welchen Kriterien wird eigentlich entschieden, welche Wege als “Wunschlinien für den Alltagsverkehr oder Freizeitverkehr” gelten? Dazu schreibt das Ministerium uns, dass “im Grundsatz der Bedarf erkennbar sein müsse.” Bürger*innen, die mit dem Rad sicher von A nach B kommen wollen, und dies bei mehreren Demonstrationen und mit verschiedenen Aktionen deutlich zum Ausdruck gebracht haben, scheinen wohl nicht als “Grundbedarf” zu gelten. Wie der Bedarf nachgewiesen werden muss, darauf bleibt das Ministerium eine verständliche Antwort schuldig.

Und wie war das mit dem Kriterium der Verkehrssicherheit für die Entscheidung, ob eine Radverbindung ausreichende Priorität hat oder nicht? Ebenfalls kein Grund, da die Strecke in den vergangenen Jahren nicht “unfallau-fällig” war.

 

Natürlich stellt sich da die Frage, ob es keine Unfälle gibt, weil es nicht

gefährlich ist - oder weil dort keiner Rad fährt, weil es zu gefährlich ist.

 

Könnte man denn wenigstens das Tempo reduzieren? Leider ist das auch nur bei statistischen Unfallschwerpunkten grundsätzlich möglich. Hier ist die Bundesregierung gefordert, die StVO und das StVG entsprechend anzupassen. In der Zwischenzeit könnten aber Straßenverkehrsbehörden und Verantwortliche auf allen Ebenen die bestehende StVO möglichst fahrradfreundlich auslegen.

Einen kleinen Lichtblick gibt es allerdings: Um die Handlungsbedarfe im Radwegenetz besser aufzuzeigen, hat das Ministerium eine flächendeckende Zustandserfassung der Radwege an den Landesstraßen in Schleswig-Holstein veranlasst. Auf Basis der Ergebnisse soll eine bessere Prioritätenreihung aller Maßnahmen möglich sein. Allerdings läßt die jetzt gestartete Fortschreibung des LRVN, in der Kreise und Kommunen befragt und Radverkehrskonzepte berücksichtigt werden sollen, auf eine Neubewertung hoffen.

Bei einer Abfrage des Ministeriums (Herbst 2020) der prioritären Projekte in den Kreisen, die in die Fortschreibung des LRVN eingebunden werden, hat allerding der Kreis Steinburg den Radweg an der L 168 nicht als prioritär benannt.

Nach unseren Recherchen und den Antworten des Ministeriums haben wir eigentlich noch mehr Fragen als vorher. Letztendlich bleibt festzustellen: Selbst wo ein Wille ist, ist oft kein (Rad)Weg.

Fenja Simon und Jan Voß

 

 

 

 

 

 

 

Einmal Fahrradstraße, bitte!

Diese eine Straße würde sich doch total gut als Fahrradstraße eignen, vor der Kita wäre Tempo 30 toll und an dieser einen Kreuzung wäre ein Grünpfeil für den Radverkehr eine super Idee?

Mithilfe der Handreichungen und Antragsvorlagen aus dem ADFC SH Projekt "Verkehrswende selber machen" könnt Ihr direkt vor Ort bei den lokalen Behörden Projekte für die Verkehrswende anregen!

Alle Handreichungen und Antragsvorlagen unter: www.verkehrswende-sh.de

alle Themen anzeigen

Verwandte Themen

PETT MAN SÜLM 03-2021 veröffentlicht

"Pett Man Suelm" ist die auflagenstarke Club-Zeitschrift des ADFC Schleswig-Holstein und eines seiner zentralen…

Fit mit dem Fahrrad

Wer schon längere Touren gemacht hat, der kennt die Frage: Was soll ich essen? Wir haben mit der…

Eine Erwachsene Person und ein Kind fahren gemeinsam Fahrrad

6. Kriterium: Teilnahme an einer Fahrrad-Kampagne

Gemeinsame Aktionen machen Spaß und stärken das Gruppengefühl. Die Begeisterung für das Radfahren kann von der Gruppe…

Workshop Ergebnisse auf Moderationskarten

Über Gewinnung und Beteiligung junger Mensch im ADFC - Ein Erfahrungsbericht

"Junge Menschen fürs Rad und den ADFC begeistern" - was leicht klingt, ist heutzutage eine große Herausforderung. Beim…

Innovativ mobil in Schleswig-Holstein - vier Beispiele

Mikrodepot, Miteinanderweg und digitale Sensoren - Schleswig-Holstein punktet mit innovativen Mobilitätsideen. Wir…

Lastenräder bei der Arbeit

Ein Interview mit Carina Heinz, Projektleiterin am Deutschen Institut für Urbanistik, verrät uns in diesem Interview…

Insel Laesoe – mit dem Fahrrad an den Strand

Die Reise nach Laesoe lohnt sich, auch wenn kaum eine Ecke unseres Nachbarlandes Dänemark weiter von Deutschland…

Sichere und komfortable Radwege

Fachgespräch: ADFC fordert sichere und ebene Radwege im ganzen Land

Unebene Radwege durch Wurzelaufbrüche und fehlende Sicherheit - Alltag für Radfahrer*innen im gesamtem Land. Mit diesen…

Fahrradklima-Test 2020

Ergebnisse ADFC-Fahrradklima-Test Schleswig-Holstein

Am 31. Mai wurden die detaillierten Ergebnisse des ADFC-Fahrradklima-Tests für Schleswig-Holstein vorgestellt.

Die…

https://sh.adfc.de/artikel/kein-radweg-viele-fragezeichen

Bleiben Sie in Kontakt