Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Schleswig-Holstein e. V.

Einfach kurios: Das “Vorfahrt gewähren”-Schild für den Radverkehr hängt direkt am “Vorfahrt gewähren”-Schild für den Autoverkehr. So weiß niemand so recht, was zu tun ist. © W.D.

Verkehrsrecht: Eure Fragen - unsere Kolumne

Maik Kristen ist Rechtsanwalt in Kiel und unter anderem auf das Recht für Radfahrende spezialisiert. In der Pett man sülm schreibt er in seiner Kolumne über das, was ihn rund um das Thema bewegt. Dieses Mal: Eure Fragen zum "Vorfahrt gewähren"-Schild

In der „Pett man Sülm”-Ausgabe aus dem Februar 2024 und dem Mai 2025 wurde über neue „Vorfahrt gewähren“-Schilder an außerörtlichen Radwegen berichtet, die eigentlich der Vorfahrtsstraße folgen. Eine Anfrage beim zuständigen Verkehrsministerium hat ergeben, dass die Auslegung der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) in diesen Fällen häufig vertretbar ist. Das Thema hat aber weiterhin zu vielen Nachfragen geführt. Ich freue mich, dass der ADFC Schleswig-Holstein bei mir angefragt hat, ob ich über dieses und weitere Rechtsthemen rund um das Fahrrad schreiben möchte. Also: Los geht’s!

Wir erinnern uns: Nach § 9 Absatz 3 der StVO müssen abbiegende Fahrzeuge Fahrräder in gleicher Fahrtrichtung nur auf oder neben der Fahrbahn durchfahren lassen.

In der VwV-StVO heißt es konkretisierend weiter:

„Im Fall von Radverkehrsanlagen im Zuge von Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) und an Kreuzungen oder Einmündungen mit vorfahrtgebendem Zeichen 301 sind Radwegefurten stets zu markieren. Sie dürfen nicht markiert werden an Kreuzungen und Einmündungen mit Vorfahrtregelung ‚Rechts vor Links', an erheblich (mehr als ca. 5 m) abgesetzten Radwegen im Zuge von Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) oder an Kreuzungen oder Einmündungen mit vorfahrtgebendem Zeichen 301 (…). ”

Ich möchte gerne versuchen, einige Fragen dazu aus der Leser*innenschaft zu beantworten.

Schließt das „Vorfahrt gewähren”-Schild eine Radwegbenutzungspflicht nicht aus?

Fahrradfahrer*innen haben grundsätzlich die Fahrbahn zu benutzen. Eine Benutzungspflicht darf nur unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet werden. Notwendig ist – neben anderen Voraussetzungen – jedenfalls eine „qualifizierte Gefahrenlage“, das heißt die konkreten Verhältnisse vor Ort müssen eine Gefahrenlage darstellen, die das Risiko einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich übersteigt. Wird angeordnet, dass der Radweg benutzt werden muss, geht mit diesem Nutzungsgebot das Verbot einher, dass die Fahrbahn genutzt werden darf. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshof Mannheim (Urteil vom 5.12.2002 (5 S 2625/01)) soll diese Benutzungspflicht auch dann gelten, wenn der Radweg nicht mehr neben der Fahrbahn verläuft.

Nach anderer Ansicht (z.B. das OLG Hamm, Urteil vom 8.6.2000 - 27 U 29/00) sind erheblich abgesetzte Radwege nicht mehr der Fahrbahn zuzuordnen. Das hat die Folge, dass für sie auch keine Radwegbenutzungspflicht angeordnet werden könnte bzw. das Radwegnutzungsgebot kann nicht zu einem Fahrbahnnutzungsverbot führen. Die StVO geht in § 2 Absatz 4 davon aus, dass es rechte und linke Radwege gibt - d.h. die jeweils links und rechts der Fahrbahn liegen - , die mit einer Benutzungspflicht belegt werden können. 

Diese letzte Ansicht teile ich auch, auch wenn sie praktische Schwierigkeiten bringt. Denn wenn der Radweg nur verschwenkt wird, verläuft er den Großteil neben der Fahrbahn und könnte benutzungspflichtig sein. Erst wenige Meter vor der Verschwenkung müsste die Benutzungspflicht aufgehoben werden, um nach der Kreuzung wieder aufzuleben – das ist sehr umständlich gedacht und widerspricht der VwV-StVO zu einer sicheren Führung an Kreuzungen. Insbesondere ist es nach der VwV-StVO notwendig, „den Radverkehr bereits rechtzeitig vor der Kreuzung oder Einmündung im Sichtfeld des Kraftfahrzeugverkehrs zu führen und die Radwegeführung an der Kreuzung oder Einmündung darauf abzustimmen“. Aber egal, welcher Meinung man folgt: Die Schilder dürfen nicht einfach ignoriert werden. Sie behalten in aller Regel ihre Geltung und müssten per Widerspruch und im letzten Schritt mit einer Klage angefochten werden. Es dürfte immer noch so sein, dass viele Benutzungspflichten nicht mehr gerechtfertigt sind. Eine geänderte Vorfahrtsführung wird darüber aber natürlich nicht erreicht.

Sind die Schilder nur auf reinen Radwegen vorgeschrieben? Was ist bei gemeinsamen oder getrennten Geh- und Radwegen, handelt es sich dabei auch um Radverkehrsanlagen?

Vor allem außerorts handelt es sich bei den Radwegen entlang von Landstraßen in der Regel um gemeinsame Rad- und Fußwege. Es macht rechtlich aber keinen Unterschied, ob es sich um einen einfachen, gemeinsamen oder getrennten Radweg handelt. Bei allen Wegen handelt es sich auch um Radwege, die zu einer Nutzung verpflichten. Dass diese Wege auch Radwege sind, ergibt sich aus der StVO. In § 2 Absatz 4 wird beschrieben, dass über die Zeichen 237, 240 und 241 benutzungspflichtige Radwege angeordnet werden können. Dementsprechend ist in der Anlage 2 der StVO zu Zeichen 237, 240, 241 jeweils die Radwegbenutzungspflicht definiert. Bei Zeichen 240 heißt es dazu: „Der Radverkehr darf nicht die Fahrbahn, sondern muss den gemeinsamen Geh- und Radweg benutzen (Radwegbenutzungspflicht).“

Wie soll ich mich gegenüber der Straßenverkehrsbehörde verhalten, wenn keine Furt markiert ist und der Radweg nicht mehr als 5 Meter abgesetzt ist? Was ist da das beste Vorgehen?

Als erstes sollte die zuständige Straßenverkehrsbehörde darüber in Kenntnis gesetzt werden, hierbei kann auf die einschlägigen Vorschriften (s.o.) verwiesen werden. Da die Straßenverkehrsbehörde an die Verwaltungsvorschrift gebunden ist und diese für die Einrichtung einer solchen Furt kein Ermessen zusteht, wenn die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, sollte die Behörde diese Furt dann auch markieren. Sollte keine Umsetzung erfolgen, ist Rechtsschutz denkbar. Dabei stellt sich aber die Frage, ob es sich bei der Furt um einen Verwaltungsakt handelt, d.h. ob die Furten wie ein Verkehrsschild eine Regelung aussprechen, oder es vielmehr ein Hinweis- und Gefahrzeichen ist, das aber keine verbindliche Anordnung enthält. Damit korrespondiert die Frage, ob ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einrichtung dieser Furt bestehen würde, also eine dem Einzelnen durch das öffentliche Recht (etwa durch Rechtssatz, Vertrag oder Verwaltungsakt) eingeräumte Rechtsmacht, von einem staatlichen Rechtsträger ein bestimmtes Handeln, Dulden oder Unterlassen zu verlangen. Soweit ersichtlich, gibt es dazu noch keine Rechtsprechung. Da die Furt im Grunde nur dazu dient, den benutzungspflichtigen Radweg auf der Fahrbahn zu markieren, könnte einiges dafür sprechen, dass die Furt Regelungscharakter hat. Das muss an anderer Stelle vertiefter untersucht werden.

Ihr habt Fragen oder Themenvorschläge zum Verkehrs- und Radrecht? Schickt sie uns gerne an redaktion [at] adfc-sh.de 

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